Puppenspiel - Inspektor Rebus 12
inne. »Ja, wenn Sie vorher eine Sitzung haben, treffen wir uns doch lieber in der Stadt. Ich fahr Sie hinterher nach Hause. Also dann um zehn im Museum? Okay. Bis dann.«
Wieder blickte er sich um. Er stand auf dem Hills Square. Direkt neben ihm an einem Geländer war ein Schild angebracht. Plötzlich wusste er wieder, wo er war: auf der Rückseite der Surgeon's Hall. Die unauffällige Tür direkt vor ihm führte in die Sir-Jules-Thorn-Ausstellung, in der die Geschichte der Chirurgie dokumentiert wurde. Er studierte die Öffnungszeiten und sah auf die Uhr. Ihm blieben noch rund zehn Minuten. Was soll's, dachte er, stieß die Tür auf und trat in das Gebäude. Dann stand er in einem ganz normalen Treppenhaus. Er stieg eine Etage hinauf und fand sich auf einem Treppenabsatz mit zwei Türen wieder: Offenbar Privatwohnungen. Also ging er ein weiteres Stockwerk hinauf. Als er über die Schwelle des Museums trat, schrillte eine Glocke. Augenblicklich erschien eine Museumsangestellte.
»Waren Sie schon einmal hier?«, fragte sie. Er schüttelte den Kopf. »Na gut. Also, die letzten Jahrzehnte sind in den beiden oberen Geschossen dokumentiert, und dort drüben links finden Sie die zahnchirurgische Abteilung.« Er bedankte sich, und die Dame überließ ihn wieder sich selbst. Rebus war offenbar der einzige Besucher. Für die Dentalabteilung brauchte er ungefähr eine halbe Minute. Er hatte nicht den Eindruck, dass die zahnmedizinische Technik in den vergangenen Jahrhunderten bedeutende Fortschritte gemacht hatte. Die übersichtlich gestaltete Hauptausstellung war auf zwei Etagen untergebracht, die meisten Exponate befanden sich in gut ausgeleuchteten Vitrinen. Er stand zunächst vor einem Apothekerladen und ging dann weiter zu einer lebensgroßen Puppe, die den Arzt Joseph Lister darstellte, der sich unter anderem durch die Einführung des Karbolsprays und des sterilen Katguts als Nähmaterial um die Entwicklung der Chirurgie verdient gemacht hatte. Ein paar Meter weiter stand er dann vor der Vitrine mit der Brieftasche, die früher einmal Burkes Haut gewesen war. Irgendwie fühlte er sich durch das Exponat an die kleine in Leder gebundene Bibel erinnert, die er als Kind mal von einem Onkel zum Geburtstag bekommen hatte. Daneben war ein Gipsabguss von Burkes Kopf ausgestellt; am Hals waren sogar noch die Wundmale zu erkennen, die der Strick des Henkers zurückgelassen hatte - dazu noch ein Abguss eines Komplizen namens John Brogan, der beim Transport der Leichen geholfen hatte. Während Burke mit seinem gepflegten Haar und seinem entspannten Gesicht erstaunlich friedlich aussah, waren Brogan die unendlichen Qualen, die er durchlitten hatte, deutlich anzusehen.
Ein Stück weiter hing dann ein Porträt des Anatomen Knox der damals die noch warmen Leichen in Empfang genommen hatte.
»Armer Knox«, sagte eine Stimme hinter ihm. Rebus drehte sich um: Ein älterer Herr in perfekter Abendgarderobe -Fliege, Kummerbund und Lackschuhe. Rebus brauchte einen Augenblick, bis er ihn erkannte: Natürlich, Professor Devlin, Flips Nachbar. Devlin schlurfte weiter und blieb vor einem anderen Ausstellungsstück stehen. »Man hat immer wieder darüber gestritten, wie viel er tatsächlich gewusst hat.«
»Sie meinen, ob er gewusst hat, dass Burke und Hare Mörder sind?«
Devlin nickte. »Ich persönlich neige der Auffassung zu, dass er es gewusst hat. Damals haben die Anatomen ihre Arbeit nämlich fast ausschließlich an bereits erkalteten Leichen verrichtet. Aus ganz Großbritannien hat man sie nach Edinburgh geschafft, manche sogar per Schiff über den Union Canal. Um die Leichen vor Verwesung zu schützen, haben die Leichenräuber sie während des langen Transports in Whisky eingelegt. Ein lukratives Geschäft war das.«
»Und was ist hinterher aus dem Whisky geworden?«
Devlin kicherte. »Den haben sie verkauft, das ist doch ein schlichtes Diktat der Ökonomie«, sagte er. »Ironischerweise kamen Burke und Hare als Wirtschaftsflüchtlinge nach Schottland. Sie haben beim Bau des Union Canals geholfen.« Rebus erinnerte sich, dass Jean etwas ganz Ähnliches gesagt hatte. Devlin hielt inne und schob sich einen Finger in den Kummerbund. »Aber der arme Knox... zweifellos ein genialer Mann. Beihilfe zum Mord hat man ihm nie nachweisen können. Aber die Kirche war natürlich gegen ihn, das war das Problem. Sie wissen ja, der menschliche Leib galt als eine Art lernpel. Und viele Geistliche wandten sich gegen seine Erforschung - sie sahen
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