Puppenspiele
einmal!«
»Kennen Sie vielleicht einen Niklas Schmitt?« Christian legte ihr das Foto vor.
Clarissa warf nur einen flüchtigen Blick darauf: »Nein. Nie gesehen. Wer ist das?«
Es war Christian klar, dass Clarissa Wedekind das Blaue vom Himmel herunterlog. Statt seine Fragen wahrheitsgemäß zu beantworten, versuchte sie mehr oder weniger geschickt, etwas aus ihm herauszuholen. Manchmal verrieten Fragen mehr als Antworten. Auch Lügen offenbarten häufig mehr, als sie zu verbergen suchten.
»Haben Sie sich jemals künstlich befruchten lassen?«
Clarissa sah ihn herablassend an: »Diese Frage ist reichlich vermessen. Bloß, weil ich Svensson kenne, muss ich noch lange nicht seine Dienste in Anspruch nehmen!«
»Darf ich Sie trotzdem bitten, meine Frage schlicht und einfach zu beantworten?«
»Nein, dürfen Sie nicht. Aber aus reiner Nettigkeit bin ich kooperativ. Ich habe mich niemals künstlich befruchten lassen. Ich war niemals schwanger. Ich bin kinderlos und werde das, schon aufgrund meines fortgeschrittenen Alters, auch bleiben. Wieso fragen Sie mich? Wenn Sie nicht möchten, dass ich unser Gespräch für beendet erkläre, dann sagen Sie mir klar und deutlich, was Sie von mir wollen! Und was das alles mit meiner Nichte zu tun hat!«
»Ich nehme an, das wissen Sie erheblich besser als ich.« Christian erhob sich. Im Moment hatte es keinen Zweck, weiter mit ihr zu reden. Diese Frau wusste etwas, aber sie mauerte. Aus ihr würde er nichts herausholen. Nicht jetzt. »Frau Wedekind, Sie können sicher sein, dass wir uns wiedersehen. Dann wird unser Gespräch erheblich länger dauern.«
»Immer gerne«, gab sie spöttisch zur Antwort.
»Bis dahin«, sagte Christian und ging.
Kaum war er zur Tür hinaus, nahm Clarissa das Päckchen aus der Schreibtischschublade. Sie drehte es zögerlich in ihren Händen, stellte es vor sich hin. Sie verspürte keinerlei Verlangen, es zu öffnen. Sie glaubte zu wissen, was es enthielt. Aber sie musste sichergehen. Also schnürte sie es tief durchatmend auf. Sie fand, was sie vermutet hatte: einen Körperteil von Howela. Allerdings nicht sein Herz, das wäre kaum zu identifizieren gewesen. Niklas dachte an alles. Es war Howelas sauber abgetrennter kleiner Finger inklusive Siegelring mit Achat.
Hamburg.
Beide Hände durch Topflappen geschützt, zog Anna das Pilz Gemüse-Soufflé aus dem Backofen. Anscheinend war es gelungen. Anna atmete erleichtert auf. Sie hatte das Kochen erst vor einiger Zeit für sich entdeckt und mit Grundrezepten wie Gulasch oder Kartoffelsuppe begonnen. Seit Kurzem wagte sie sich nun an kompliziertere Herausforderungen, frei nach dem Motto: Wer lesen kann, kann auch kochen. Ihre erste Béchamelsoße war gründlich missraten. Die Panade des nächsten Experiments, eines Steirischen Backhuhns, geriet klumpig, nass und schlaff. Doch dadurch war nur Annas Ehrgeiz geweckt worden. Sie betrachtete das Kochen inzwischen als einen Krieg zwischen ihr und den Zutaten. Sie würde sich nicht von widerspenstigen Lebensmitteln und unverständlich formulierten Rezepten terrorisieren lassen, sondern sich Fleisch, Gemüse, Soßen, Suppen und jegliche Art und Weise der Zubereitung untertan machen. Häufig zu Christians Leidwesen, dem ein saftiges Steak mit Pommes oder eine schlichte Pizza jederzeit lieber waren als Annas kulinarische Kämpfe um ihren Sieg in der Küche. Deswegen kochte er meistens selbst und tarnte diese Vorsichtsmaßnahme als selbstverständliches Verhalten eines emanzipierten Mannes. Vorsichtig stellte Anna das Soufflé auf den gedeckten Tisch. Die knusprige Entenbrust stand schon da und ruhte vor dem Aufschneiden noch etwas in ihrem Saft.
»Hmmm, das sieht gut aus«, lobte Karen das Soufflé.
»Ich habe nur Angst, dass, wenn ich den Schöpflöffel reinstecke, alles in sich zusammenfällt. Oder vielleicht mit einem lauten Knall explodiert!«
Karen nahm den Schöpflöffel und rammte ihn ohne jegliche Rücksicht in die empfindliche Speise. Das Soufflé stieß einen heißen, dampfenden Seufzer aus und fiel in sich zusammen. Karen und Anna lachten, schnitten das Fleisch auf, gossen sich Rotwein ein und begannen zu essen.
Seit einiger Zeit verband die beiden so etwas wie Freundschaft. Annas langjährig gewachsene Beziehungen zu ihren Freundinnen hatten in den letzten Jahren schwer gelitten. Einige waren durch divergierende Ansichten abrupt weggebrochen, andere durch unterschiedliche Lebensweisen erodiert und wieder andere durch Umzüge erschwert worden.
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