Puppenspiele
Tischen, Kommoden und dem Boden herum. Und genau wie bei Anna, stand in Fensternähe eine vertrocknete Zimmerpflanze. Christian lächelte. »Sie kommen wohl vor lauter Lesen nicht zum Blumengießen? Genau wie meine Freundin: Immer die Nase im Buch, und das Grünzeug verreckt.«
»Sie haben eine Freundin? Ich hätte gedacht, Sie sind der Typ einsamer Wolf, der nachts mit einem Glas Whisky in der Hand seine alten Rock-Schallplatten durchhört.« Petra öffnete eine Flasche badischen Grauburgunder.
»So war es, bis ich Anna getroffen habe. Jetzt trinkt sie mir den Whisky weg und quält mich mit klassischer Musik oder Jazz.«
»Das kann ich auch!« Petra ging zu ihrer Anlage und legte eine Chet-Baker-CD ein. Dann setzte sie sich auf den Sessel und zog ihre Beine hoch. Sie trug einen bequemen, aber edel aussehenden Hausanzug aus dünnem anthrazitfarbenem Stoff. Christian fiel auf, dass ihre Füße nackt waren und die Zehennägel schwarz lackiert. Da er es seltsam fand, dass ihm das auffiel, sah er weg. Er bat Petra, ihm ein wenig von ihrer Tochter zu erzählen, falls es sie nicht allzu sehr schmerzte.
»Es tut mir gut, von ihr zu sprechen. Das ist ein bisschen, als wäre sie hier. Seltsam, wie lebendig Erinnerungen sein können. Dass man sie spüren, riechen, fast anfassen kann. Wenn ich an Catrin denke, ist mir, als käme sie gerade ins Zimmer. Sie lacht, umarmt mich, wirft ihre Umhängetasche auf den Boden, lässt sich aufs Sofa fallen und futtert einen Schokoriegel, den sie aus meiner Schreibtischschublade klaut. Sie duftet nach ihrem Prada-Parfüm, und ihre Stimme klingt klar und frisch, wenn sie mir von ihrem letzten Flirt erzählt oder dem Film, den sie sich am Vorabend angesehen hat.«
Petras Blick war weit entfernt, als sie von Catrin sprach. Sie erzählte von Catrins Kindheit, von ihrer Aufsässigkeit in der Pubertät und all den kleinen Schwierigkeiten und großen Freuden, die sie mit ihr erlebt hatte. Es klang alles so normal. So richtig. Christian musste an seinen eigenen Sohn denken, zu dem er erst in den letzten drei Jahren wieder vorsichtig Kontakt aufgenommen hatte. Nach der Scheidung hatte ihm seine Frau den Umgang mit dem gemeinsamen Kind aufgrund ihrer eigenen Wut weitestgehend erschwert. Schließlich hatte er sich selbst nicht mehr darum bemüht. Jahre später wurde ihm plötzlich klar, dass er einen erwachsenen Sohn hatte, der in Los Angeles lebte, schwul war und seinen desinteressierten Vater hasste. Die Annäherung zwischen ihnen ging nur langsam voran. Christian hatte ihm vor zwei Jahren versprochen, ihn baldmöglichst mit Anna zu besuchen. Wenn nur dieser elende Flug nicht so lang wäre und auch noch über das Bermudadreieck führte …
Christian und Petra waren bei der zweiten Flasche Wein angelangt, als er ihr von Sarah Kopper aus Tübingen erzählte. Er hatte nicht geplant, mit ihr darüber zu sprechen. Er tat es wohl nur, weil er Anna als Gesprächspartnerin sehr vermisste. Sie blickte immer aus einer völlig anderen Perspektive auf die Fakten. Ob es die weibliche Perspektive war oder die der Psychologin, sie gab ihm jedenfalls häufig neue Impulse. Vielleicht lag es auch daran, dass er sich in Petras Wohnung wohlfühlte, jedenfalls dachte er nicht lange darüber nach, dass er mit einer betroffenen Zeugin sprach. Er sprach einfach nur mit ihr als einer klugen und attraktiven Frau, die zuhören konnte, die richtigen Fragen stellte, gerade eben weil sie einen anderen Zugang hatte als Volker oder Herd oder sonstige Kollegen, die wie er oftmals den Wald vor lauter Bäumen nicht sahen. Und vielleicht weil sie hübsch lackierte Zehennägel besaß.
»Wenn diese Sarah nicht ins Bild passt und auch ihre Ermordung ganz anders abgelaufen ist, wieso denken Sie dann, dass es derselbe Mörder ist?«
»Das Opferprofil stimmt nicht ganz. Das Täterprofil dafür umso besser. Der gleiche Vorname wie in München: Frank. Die gleichen Umstände: Der Täter pirscht sich unter dem falschen Namen und mit erfundener akademischer Biografie an eine hübsche Studentin heran. Er lebt vermutlich in einer möblierten Mietwohnung. Gemeldet ist er nicht. Ich vermute, Sarah Kopper war sein erstes Opfer. Sie hat er im Affekt getötet. Die Tat hat ihm gefallen. Es hat ihm so gut gefallen, dass er weitermacht. Und seine Morde fortan inszeniert. Wobei die Art der Inszenierung uns auf die Spur seines Motivs bringen sollte. Ich will wissen, warum er es auf genau diese Art und Weise tut. Dabei wäre es hilfreich, wenn ich
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