Puppenspiele
Eroberung Hauke angeben. Andererseits konnte sie sich diese Gelegenheit, Hauke besser kennenzulernen, nicht entgehen lassen. Vielleicht war das Geknutsche zwischen ihm und Birte ja noch nichts Festes.
Sie rannte ins Bad, duschte und wusch sich zum zweiten Mal an diesem Tag ihre Haare. »Der Pony sah voll scheiße aus«, erklärte sie ihrer Mutter, als die sie wegen übertriebener Schönheitspflege und unnötigem Wasserverbrauch tadelte.
»Und dieser Typ, der dir am See aufgelauert hat und eben am Haus vorbeilief? Mir ist das nicht recht, dass du heute ausgehst. Papa und ich haben Kinokarten. Willst du nicht lieber zu Hause bei Jenny bleiben? Ihr könnt ja zusammen einen schönen Film ansehen …«
»Mann, Mama! Vergiss diesen Typen! Außerdem werde ich mit dem Auto von Hauke abgeholt und bestimmt wieder gebracht. Also mach dich mal locker! Ich konnte heute Nachmittag schon nicht mit meiner Clique abhängen wegen Jenny. Versau mir jetzt nicht auch noch den Abend!«
»Hauke? Ist das der neue Typ an der Schule, von dem du so schwärmst?«
»Ich schwärme überhaupt nicht von dem. Der ist nur ganz cool, sonst nichts.«
»Also gut. Dann viel Spaß.« Die Mutter wandte sich an Jenny: »Und du, kleines Fräulein, liegst um neun im Bett, damit das klar ist!«
Als Hauke eine halbe Stunde später vorfuhr, schlenderte Jessica betont locker hinaus. Zu ihrer Freude saß nicht Birte auf dem Beifahrersitz, sondern Julius aus der Zehnten. Dass Birte hinten sitzen musste, war ein gutes Zeichen, fand Jessica.
Dass der Typ mit der Sonnenbrille und der Baseballcap vor der Eisdiele saß, fand Jessica ebenfalls hervorragend. Vor allem, weil er sie mit geheimnisvollem Lächeln begrüßte, als sie sich mit ihren Freunden ein paar Tische weiter setzte. Jessica genoss Birtes neugierig getuschelte Fragen nach dem geheimnisvollen Fremden. Sie erzählte, wie er sie heute am See beobachtet habe und dann zu ihr gekommen wäre, um sich mit ihr zu unterhalten. Entzündet von ihrer eigenen Phantasie erfand sie für »Mike« eine spannende Biografie als Pilot in der Ausbildung und machte kryptische Andeutungen über seine ausgefeilte Art zu baggern. Neidisch suchte Birte nach einem Argument, Jessicas Erlebnis schlechtzureden. Sie fand eins: »Also mir wär der zu alt. Der ist doch bestimmt schon vierundzwanzig!« Dabei sah sie tief in Haukes Augen.
»Ich steh halt auf erfahrene Männer … wenn ihr wisst, was ich meine.« Auch Jessica sah Hauke tief in die Augen. Sie war einfach einen entscheidenden Deut raffinierter als Birte. Und ihre erotische Anspielung wirkte: Hauke lächelte Jessica wissend an. Als sie sich umdrehte, um ihren ersten Erfolg bei Hauke durch einen flirtiven Blickkontakt mit dem Fremden zu befeuern, war der Mann mit der Sonnenbrille verschwunden. Jessica bedauerte es nur eine Sekunde lang. So konnte ihre erfundene Romanze mit dem Fremden auch nicht durch unpassendes Verhalten seinerseits Lügen gestraft werden.
Was Jessica allerdings sehr bedauerte, war der etwa zweieinhalb amüsante Stunden später per SMS eingehende und unmissverständliche Befehl ihrer Mutter, sofort nach Hause zu kommen. Immerhin hatte sie Hauke inzwischen so weit an der Angel, dass er sich sofort bereiterklärte, sie zu fahren. Birte wollte die beiden vorsichtshalber begleiten, doch das konnte Jessica verhindern. Sie hoffte auf feuchte Küsse im Cabrio vor der Haustür, und dabei konnte sie Birte wahrlich nicht gebrauchen. Doch so weit kam es nicht. Als Hauke in Jessicas Straße einbog, sahen sie schon von Weitem das Blaulicht. Der Polizeiwagen stand direkt vor Jessicas Haus. Von bösen Vorahnungen getrieben, rannte Jessica durch den Vorgarten in Richtung Haus. Hauke blieb im Auto sitzen. Er wusste nicht so recht, was er tun sollte: Jessica folgen oder sich verziehen? Schließlich fuhr er. Jessica schloss mit zittrigen Händen die Haustür auf und stürmte ins Wohnzimmer. Ihre Mutter saß verheult auf dem Sofa, ein uniformierter Beamter stand herum, und ihr Vater sprach eindringlich mit einem Mann in Zivil.
»Mama! Was ist passiert?«
Jessicas Mutter hob den tränenverschleierten Blick, sah ihre große Tochter und stürzte in ihre Arme.
»Jenny ist verschwunden. Wir sind vom Kino nach Hause gekommen, und sie war weg. Herr Franke von nebenan hat gesehen, wie jemand durch unseren Garten gelaufen ist und etwas Schweres unter einem Tuch getragen hat. Dann ist er mit einem Auto weggefahren.«
Jessica lief es eiskalt den Rücken herunter, und sie
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