Puppenspiele
zuerst noch kurz ins Krankenhaus müssten. Sie gingen wieder hinunter.
Jenny hatte keine Lust, ins Krankenhaus zu fahren, was sie selbstbewusst zum Ausdruck brachte. Frau Jacob versprach ihr ein großes Eis mit Sahne, das sie bekommen würde, sobald sie wieder zu Hause waren. Das überzeugte Jenny.
Jessica zog sich auf ihr Zimmer zurück. Christian und Anna wollten zu ihrem Hotel. Ein Streifenpolizist chauffierte sie mit dem Einsatzwagen. Weyrich begleitete das Ehepaar Jacob und Jenny zum Krankenhaus. Er würde Christian sofort Bericht erstatten, wenn etwas Erwähnenswertes vorfiel.
»Was hältst du von Jenny?«, fragte Christian, als er eine knappe Viertelstunde später mit Anna im Hotelzimmer war.
»Die Kleine ist erstaunlich. Sehr klug, sehr am Verstand orientiert. Die meisten anderen Mädchen in ihrem Alter hätten einen Schock. Gefesselt in einer dunklen Scheune, mit einem Fremden. Ich wundere mich wirklich über Jenny. Wenn ihre Eltern einverstanden sind, würde ich gerne ein paar psychologische Tests mit ihr machen.«
Anna erzählte Christian von der Forderung des Entführers, die kleine Katze zu töten, und von Jennys Reaktion. Christian war ebenfalls beeindruckt von der Kleinen. Aber es gab etwas, das ihn im Moment noch brennender interessierte: »Was sagt dir die Geschichte über unseren Täter?«
»Ich vermute, das mit dem Kätzchen war eine Art Test. Vielleicht ist alles, was er mit den Frauen vor ihrem Tod veranstaltet eine Art Test. Er hat geprüft, ob Jenny skrupellos ist. Ob sie ein Herz hat.«
»Genau so sehe ich das auch. Ich frage mich nur die ganze Zeit, ob er die anderen Frauen getötet hat, weil sie den Test bestanden haben oder weil sie durchgefallen sind.«
»Jedenfalls war er bei Jenny unentschlossen. Deswegen lebt sie. Und deswegen will er sie wieder besuchen, wenn sie älter ist. Er will sehen, in welche Richtung sie sich entwickelt.«
»Das macht für mich alles nicht viel Sinn. Kein normales Kind tötet ein Kätzchen!«
Anna widersprach: »Viele Kinder, gerade auf dem Land, sehen wie ihre Eltern lästigen Katzennachwuchs ertränken. Oder an die Wand werfen. Bei Bauern kommt das häufig vor.«
»Dann ist das aber kein sehr guter Test«, warf Christian ein.
»Ich finde schon. Wenn ein Kind so was noch nie gemacht hat, gibt es eine natürliche Hemmschwelle. Aber wenn ein Kind Angst hat und unter Druck steht, kann es diese Hemmschwelle überschreiten. Um dem Druck auszuweichen.«
»Jenny hatte also keine Angst«, sagte Christian.
»Genau das macht mir ein wenig Sorgen.« Anna sah aus dem Fenster in die Nacht: »Meiner Meinung nach hat Jenny ihre Meinungsverschiedenheit über das Kätzchen mit Mike nicht emotional, sondern argumentativ geregelt. Das ist äußerst ungewöhnlich für ein Kind in dem Alter. Ich weiß es nicht mit Sicherheit, aber ich glaube, das hat ihr das Leben gerettet.«
Christian trat neben sie. »Wieso Jenny? Wie sucht er seine Opfer aus? Tübingen, München, Berlin, Straßburg. Der fährt doch nicht zufällig nach Haltern am See und schnappt sich irgendeine Zehnjährige! Was verbindet Jenny mit den anderen Opfern?« Christian fuhr sich angespannt mit beiden Händen durchs Gesicht. Er war ruhelos.
»Wir werden morgen mit Frau Jacob über Jenny reden. Morgen, Christian«, sagte Anna. »Jetzt schlafen wir ein paar Stunden. Ich bin völlig erledigt. Und du kannst nichts mehr tun. Wenn Weyrichs Leute den Kerl heute Nacht noch schnappen, ruft er dich garantiert sofort an.«
Anna ging ins Bad, zog sich aus, wusch den langen Tag von der Haut, putzte die Zähne, und legte sich ins Bett. Christian stand immer noch am Fenster und blickte auf den nächtlich tiefschwarzen See. Nach wenigen Minuten der Stille fragte Anna: »Ist dir auch aufgefallen, dass Herr Jacob sich weitaus mehr um seine Frau zu sorgen scheint als um Jenny? Er hat Jenny nur kurz in den Arm genommen. Es sah so … beiläufig aus, fast wie eine pflichtbewusste Geste. Von Liebe war da nichts zu spüren. Bestenfalls Erleichterung.«
Christian stimmte ihr zu. Auch wenn er es für absolut in Ordnung hielt, dass Männer ihre Gefühle nicht so offen zeigten, fiel ihm dennoch erneut auf, welch untergeordnete Rolle sie in dieser ganzen Geschichte spielten.
2. September 2009:
Düsseldorf.
»Sie haben ihn erschossen? Sind Sie verrückt geworden?« Clarissas Stimme kippte fast über.
Howela war vor einer halben Stunde bei ihr eingetroffen. Er wirkte übernächtigt. Als er ankam, trug sie noch ihren
Weitere Kostenlose Bücher