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Puppentod

Titel: Puppentod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Winter
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ein Lächeln über ihr Gesicht. Nicht die Rosen ließen ihr Herz höherschlagen, sondern der Gedanke an eine schnelle Yacht. Dass Lisa leidenschaftlich gern Boot fuhr, wusste er. In der Karibik hatte er einmal beobachtet, wie sie mit einem Rennboot übers Wasser preschte, in einer solchen Geschwindigkeit, dass ihm vom Hinschauen schon mulmig wurde. Sie war so entsetzlich schnell gewesen, dass der kleinste Fahrfehler, oder einfach nur eine zu starke Welle, sie in Gefahr gebracht hätte.
    Manchmal, so hatte Michael festgestellt, war Lisa bewundernswert mutig und unerschrocken und im nächsten Moment wieder scheu wie ein Reh. Dann machten ihr Dinge oder Situationen Angst, denen im Grunde nichts Schlimmes anhaftete. Fremde Menschen zum Beispiel, oder eine unbekannte Umgebung. Doch die größte Angst schien sie vor ihren eigenen Gefühlen zu haben. Ständig zwang sie sich, diese unter Kontrolle zu halten.
    »Soll ich jetzt meine Sachen auspacken?«, fragte sie unsicher.

    Sie fühlte sich hier nicht wohl. Das spürte Michael. Vielleicht war zu viel auf sie eingestürmt. Er musste ihr Zeit geben.
    Als er den Kleiderschrank öffnen wollte, den er teilweise für sie leer geräumt hatte, griff sie plötzlich nach seinen Händen und sagte etwas in einer Sprache, die er nicht verstand. Fragend sah er sie an.
    Sie erklärte ihm, was sie gesagt hatte: »Es ist eine alte kreolische Weisheit, dass ein Mann einer Frau ewige Liebe schwört, wenn er ihr rote Blumen schenkt.«
    Er lächelte. Mit kreolischen Weisheiten kannte er sich nicht aus, doch er war glücklich, dass sie die Rosen erwähnte, und flüsterte ihr zu: »Genauso war es auch gemeint.«

    Um die Umzugskartons auspacken zu können, musste Lisa zunächst die Rosen einsammeln, die darauf verstreut lagen. Das tat sie langsam und bedächtig, und je mehr Rosen sie im Arm hielt, umso langsamer wurde sie.
    »Meine Mutter hat diese Blumen sehr geliebt«, sagte sie leise.
    Michael horchte auf. Lisa sprach so selten über ihre Familie, dass er diese Gelegenheit nicht ungenutzt verstreichen lassen durfte. Er setzte sich auf eine der Kisten und sagte: »Erzähl mir von deiner Mutter.«
    Gedankenverloren setzte sie sich ihm gegenüber und schwieg.
    »Hast du ein Foto von ihr?«, fragte Michael.
    »Nein.«
    »Du hast kein einziges Bild von deiner Mutter?«

    »Ich war noch klein, als der Unfall passierte«, sagte Lisa abweisend. »Keine Ahnung, was aus den Sachen geworden ist.«
    Er wusste nicht, warum er ihr nicht glaubte. War es das Vibrieren ihrer Stimme? Das Zittern ihrer Hand?
    »Was hast du nach dem Unfall gemacht?«, fragte er. »Du warst zehn Jahre alt und hattest keine Geschwister. Das heißt, du warst plötzlich ganz allein auf der Welt. Wer hat sich um dich gekümmert? Deine Großeltern vielleicht? Wo bist du aufgewachsen? Wo zur Schule gegangen?«
    Er wollte so vieles wissen, aber Lisa schwieg. Er spürte, dass sie darüber nicht reden wollte. Oder es nicht konnte. Anscheinend hatte sie den Schmerz nicht verarbeitet. Doch er wagte trotzdem einen weiteren Vorstoß.
    »Wie ist der Unfall passiert?«, wollte er wissen. »Und wo?«
    Von einer Sekunde zur anderen verwandelte Lisa sich in ein Gebilde aus Stein. Bewegungslos saß sie vor ihm und umklammerte so fest das Kreuz an ihrer Kette, dass auf ihrem Handrücken die Adern hervortraten. Sie hatte den Schock von damals nicht überwunden, das wurde Michael in diesem Augenblick klar.
    Es irritierte ihn, dass er in ihren Augen weder Trauer noch Traurigkeit entdeckte. Etwas anderes lag in ihrem Blick. Etwas, das er schlecht deuten konnte.
    War es Wut? Oder Zorn? Nein. Es war Hass. Was er in ihren Augen las, war purer, blanker Hass.

2
    Lisa spürte, dass Michael sie mit seinen Blicken fixierte, und versuchte krampfhaft, die Kontrolle über ihre Gefühle zu behalten. Wenn aber die Erinnerung wie eine Welle über sie hinwegschlug, war das nicht mehr möglich. Vielleicht lag es an den Blumen oder an der Atmosphäre in diesem Haus. Sie fühlte sich, als ertränke sie gerade hilflos in einem dunklen Meer.
    Sie starrte auf die Rosen in ihrem Arm. Sie waren rot wie Blut. Ihr süßer Duft stieg wie Gift in den Kopf. Es hatte ein Foto gegeben, auf dem ihre Mutter einen Strohhut trug und Rosensträucher schnitt. Unzählige Sträucher mit dicken, gelben Blüten entlang eines Gartenzauns.
    Ihre Mutter war schön gewesen. So wunderschön. Sie hatte sich immer ein kleines Haus mit einem Garten gewünscht. Aber manchen Menschen war das nicht

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