Puppentod
Schuster auf, der ängstlich wie ein Hase in leicht
geduckter Haltung auf seinem Schreibtischstuhl saß. Seine Hand aber lag noch immer auf der Computermaus, und als er diese mit seinem Zeigefinger kurz anklickte - entweder um die geschriebene E-Mail zu versenden oder um sie zu löschen -, sagte Harry in scharfem Ton: »Hände weg von dem Computer.«
»Was erlauben Sie sich«, entgegnete Martin Schuster und gab sich hörbar Mühe, empört zu klingen. Nur bebte seine Stimme vor Angst. Harry lächelte herablassend, während er ein Funkgerät aus seiner Jackentasche zog.
Lisa war sicher, dass er den Wachmann informieren würde. Deshalb musste sie schleunigst von hier fort, sonst könnte es gefährlich werden. Sich gegen einen Mann zu wehren war kein Problem, gegen zwei oder drei aber wäre sie machtlos.
Um Harry abzulenken, stieß sie die Glasflaschen aus dem Regal, die scheppernd zu Boden fielen, und rannte los. Sie hetzte den langen Gang entlang und sah über ihre Schulter hinweg, dass Harry ihr bereits folgte. Er war unsagbar schnell und kam immer näher. Sie hatte nur noch wenig Vorsprung. Sie musste die Toilette erreichen, dort konnte sie durch das Fenster entkommen. Harrys Hand streifte schon ihren Arm, als sie sich blitzartig umdrehte, ihr rechtes Bein ausstreckte und ihm mit ihrem Fuß einen solch kräftigen Schlag an den Hals versetzte, dass er stöhnend zusammenbrach. Dann floh sie in die Toilette, riss ein Fenster auf und sprang mit einem Satz hinaus. Genau in diesem Augenblick ging die Alarmanlage los.
3
Seit einer Stunde schon lag Michael wach und starrte in die Dunkelheit. Wo war Lisa? Es war drei Uhr nachts, und sie war nicht in ihrem Bett. Sie war nicht im Bad, nicht in der Küche und nirgendwo sonst. Er hatte das ganze Haus nach ihr abgesucht. Sie war nicht da. Dabei war sie noch vor ihm schlafen gegangen.
Er sah auf das rot erleuchtete Display seines Radioweckers. Die Minuten quälten sich dahin, während durch seinen Kopf die irrsinnigsten Gedanken rasten. Doch keinen davon bekam er zu fassen. Da war ein Kindergeburtstag, eine Geburtstagstorte mit zehn bunten brennenden Kerzen, kleine Mädchen, die mit Puppen spielten, ein dunkler Wald, die Suchtrupps der Polizei, Spürhunde, Hubschrauber, die verzweifelten Schreie einer Mutter.
Unheimliche Bilder, so düster und mysteriös, dass es ihm Schauer über den Rücken jagte und er gerade das Licht anmachen wollte, als er Lisa ins Zimmer kommen hörte. Blitzartig rollte er sich in seine Decke ein und stellte sich schlafend. Sie sollte nicht wissen, dass er ihr Verschwinden bemerkt hatte. Erst als sie ins Bett kroch, tastete er nach ihr und murmelte schlaftrunken, so als wäre er eben erst aufgewacht: »Wo warst du?«
»In der Küche«, sagte sie leise. »Ich hatte Durst. Schlaf schnell weiter, es ist erst halb vier.«
Als Michael am nächsten Morgen den Sicherheitsraum betrat, wo die Bilder der Überwachungskameras aufgezeichnet wurden, saß bereits ein Mitarbeiter der Firma Dexter-International-Security vor den Monitoren.
»Ich hatte keine Ahnung, dass Sie schon da sind«, sagte Michael erschrocken.
Der Mann drehte sich lächelnd um und erklärte: »Ich überprüfe gerade die Aufzeichnungen der letzten Nacht.«
»Und?«, fragte Michael gespannt. »War alles in Ordnung?«
»Keine besonderen Vorkommnisse«, antwortete der Mann.
Michael war überrascht. »Es hat niemand das Grundstück verlassen?«
Der Mann schüttelte den Kopf. »Nein. Es gab keinerlei Bewegung, weder am Eingangstor noch an der Grundstücksmauer. Es ging niemand, und es kam niemand.«
»Aha«, sagte Michael verwundert.
Als er kurz darauf in die Küche kam, um zu frühstücken, saß seine Mutter dort allein an dem langen Tisch, vertieft in eine Einkaufsliste. Er nahm sich Kaffee und bestrich ein frisches Brötchen mit Butter und einer ordentlichen Portion Nutella.
»Was hältst du von einem Hummer als Vorspeise?«, fragte Hilde. »Vielleicht mit Toast und Champagner dazu?«
»Wann? Heute Abend?«
»Ach was!« Sie winkte ab. »Am Freitag. Falls du dich erinnerst, haben Papa und ich Hochzeitstag.«
Daran hatte er nicht mehr gedacht, doch das konnte er unmöglich zugeben. »Selbstverständlich habe ich das nicht vergessen«, erwiderte er mit leicht beleidigtem Unterton. »Allerdings war ich der Meinung, dass es wie immer ein großes Essen bei Käfer geben wird.«
Sie seufzte. »Dieses Jahr nicht. Nach den Ereignissen der letzten Tage ist dein Vater dafür nicht in
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