Purgatorio
er. Ich wollte, es hätte das ganze Leben gedauert.
Macht nichts, beruhigte sie ihn. Wir können es gleich noch einmal tun.
Es hat dir wehgetan. Du blutest.
Das ist gutes Blut. Morgen werde ich nichts mehr spüren. Und wie du gesagt hast – wir haben das ganze Leben vor uns.
Nach einer Weile rückte Emilia zu ihm hin und küsste ihn auf den Hals und hinters Ohr. Wortlos nahm sie seinen Penis und liebkoste ihn sanft.
Ich kann nicht, sagte Simón. Dieses Tier führt ein Eigenleben. Es kann stundenlang so sein, schlafend, weich.
Mach dir keine Sorgen. Denk nicht. Du wirst schon können.
Simón wühlte im Gepäck, zog einen Kassettenrekorder hervor und drückte auf Play. In mangelhafter Aufnahmequalität entströmten dem Gerät einige wenige Akkorde, ganz schlicht und mit äußerster Reinheit gespielt, die keiner anderen Musik auf dieser Erde glichen.
Wenn ich allein bin, erregen mich Keith Jarretts Improvisationen. Mit dir müssten sie mich doppelt erregen.
Es ist wunderschön, bestätigte Emilia. Er improvisiert, sagst du?
Von A bis Z.
Das ist zu perfekt. Er muss die Melodie im Gedächtnis gehabt haben.
Nein. Das war seine Entdeckung. Jarrett ging in die Kölner Oper ohne die geringste Vorstellung, was er tun würde. Nach einer Woche, ein Konzert nach dem anderen, war er müde, und es überraschte ihn selbst, dass ihm die Musik nur so zuströmte. Bis dahin war er ein großer Jazzpianist gewesen, aber von diesem Abend an schuf er ein einmaliges Genre. Seine Musik ist ein Kontinuum, ein Absolutum. Das Husten im Saal, das Knacken des Instruments, nichts ist vorbereitet. Bach oder Beethoven mögen vergleichbare Galaxien geschaffen haben, improvisierte Harmonien, die jetzt durch die Nacht der Zeiten schwimmen, aber nichts davon hat überlebt. Darum hat Jarrett etwas gemacht, was sich nie wieder ereignen wird. Nicht mit denselben Tönen, nicht auf diese Art. Sein Abend in der Kölner Oper wird sich nie wiederholen können. Nicht einmal er selbst könnte das. Es ist ein vergängliches Konzert, entstanden, um in diesem Moment zu leben und zu sterben. Es wird zu einem Gemeinplatz werden, einer Trivialität für Verliebte wie wir. Und für die menschliche Spezies ist es von nun an unverzichtbar.
Sie lagen auf dem Bett, nackt, entspannt. Nach sieben Minuten begann Jarrett zu stöhnen, als vögelte er mit dem Instrument. Simóns Glied blieb ungerührt.
Lass es mich versuchen, sagte Emilia.
Sie liebkoste ihn mit einer Hand weiter, während sie sich mit der anderen langsam selbst liebkoste. Nach einer Weile entrang sich ihr gemeinsam mit Jarrett ein Stöhnen.
Nach dem Anruf der Frau vom Kino fragte sich Emilia den ganzen Vormittag, was sie tun solle. Den Karten, deren Maßstab sie zu korrigieren, das heißt von 1 : 450 000 000 in 1 : 450 000 zu ändern hatte, widmete sie kaum Aufmerksamkeit. Gern hätte sie mit ihrem Vater über die Angelegenheit gesprochen, aber seine immer unberechenbareren Reaktionen verängstigten sie. Schließlich sprach sie sich am selben Nachmittag im Familienhaus bei Chela aus. Und wie immer erzählte es die Schwester der Mutter und die Dr.Dupuy, der zwei Stunden später nach Hause kam, zitternd vor Wut, wie sie ihn noch nie gesehen hatte. Er trat vor Emilia hin und sagte:
Wie kannst du so naiv sein? Verstehst du denn nicht, dass wir uns in einem Krieg befinden? Dass deine Familie jeden Moment von den Subversiven angegriffen werden kann? Du hättest mir sofort erzählen sollen, was dir im Kino widerfahren ist. Du hast kein Recht, mich vor meinen Freunden wie einen Hanswurst dastehen zu lassen. Das kannst du mir nicht antun.
Was hab ich dir denn getan? Zwei Tage geschwiegen? Keine Ahnung, was da vor sich geht. Ich bin keine Hellseherin.
Du kannst auch nicht auf dich aufpassen. Man hat dir eine Falle stellen wollen. Man hat Informationen aus dir herausquetschen, in dieses Haus eindringen wollen. Die haben uns allen eine Kugel in den Kopf jagen wollen.
Wie soll ich mich also verhalten, wenn mich diese Frau wieder anruft?
Sie wird dich nicht noch einmal anrufen. Man hat sie in einem Café in der Nähe deiner Wohnung aufgespürt. Sie hat dich ausspioniert und war bewaffnet. Eine Patrouille hat sie eingekreist, und als man ihr die Waffe abnehmen wollte, hat sie Widerstand geleistet. Sie wollten sie festnehmen, aber sie hat sich selbst getötet.
Zwei Monate nach der Machtübernahme kam der Präsident zu den Eltern zum Abendessen. Er wurde begleitet von seiner Frau, die ihre
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