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Purgatorio

Purgatorio

Titel: Purgatorio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tomás Eloy Martínez
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bringen lassen. Der Bischof akzeptierte einen Nachschlag und konzentrierte sich mit halb geschlossenen Augen auf den Geschmack.
    Ich beglückwünsche Sie, lieber Doktor. Sie ist köstlich.
    Dupuy nahm das Lob mit kaltem Lächeln entgegen und wandte sich an den Präsidenten.
    Hatten Sie einen guten Tag, Señor?
    Er gab den Bediensteten einen leisen Wink, den sie sogleich verstanden. Sie sollten eine weitere Runde Dom Perignon einschenken. Obwohl der Vater den Präsidenten privat ungezwungen ansprach, wahrte er vor Dritten die Form. Er wusste, dass er hinter seiner gespielten Tatkraft unsicher und reizbar war.
    Es war ein Tag, über den ich mich nicht beklagen kann. Am Vormittag habe ich auf dem Weltkongress für Werbung gesprochen, und selten habe ich so viel Lob zu hören bekommen. Die Unternehmer sind überglücklich über das, was sich da abspielt. Sie merken, dass wir in bloß zwei Monaten die Subversion an die Wand gedrückt haben. Alle Ratten schlüpfen aus ihren Löchern. Wir haben das Chaos geerbt, jetzt leben wir in der Ordnung.
    Ethel, die Mutter, fühlte sich verpflichtet, sich einzumischen:
    Ich habe Gott jeden Tag gebeten, dass Sie und Ihre Offiziere möglichst schnell die Regierung übernähmen. Der Mann von der Straße war verzweifelt, als er das Land in den Händen einer zurückgebliebenen Nachtklubtänzerin sah. Wir haben befürchtet, Sie fänden nur noch Ruinen vor, wenn Sie an die Macht gelangten. Ich muss einfach bewundern, wie schnell Sie die Dinge zurechtgerückt haben. Selbst der so zurückhaltende Borges hat sich stolz auf eine Armee gezeigt, die das Land vor dem Kommunismus errettet hat. Das habe ich vor zwei Stunden im Rundfunk gehört.
    Oh, ja. Ich habe mit Borges und anderen Literaten zu Mittag gegessen. Meine Berater haben sie eingeladen, um mit ihnen über kulturelle Themen zu plaudern, aber einer hat nicht dazu gepasst. Und zwar der, von dem wir es am wenigsten erwartet hätten, ein kleiner Geistlicher, Pater Castellani.
    Ich dachte, der wäre tot, sagte Dupuy. Er muss mindestens achtzig sein.
    Siebenundsiebzig, hat man mir gesagt. Ich sehe, Sie wissen, wer er ist.
    Nicht direkt. Ich habe ihn gelesen. Er hat ungefähr hundert Seiten der
Summa
des heiligen Thomas übersetzt und einige Detektivgeschichten verfasst, die gar nicht so übel sind. Man wird Ihnen gesagt haben, dass ihn die Jesuiten gezüchtigt und in einem spanischen Kloster eingesperrt haben. Vor wenigen Jahren hat man ihm erlaubt, wieder die Messe zu zelebrieren.
    Der Präsident hatte kaum vom Essen gekostet. Er war so dürr, dass ihn die anderen Kommandanten Aal nannten. Der Spitzname ärgerte ihn nicht. Seit seinen Kadettenjahren galt er als aalglatt, verschwiegen, undurchdringlich. Aus lauter Liebe zum Militär hatte er es in die höchste Funktion geschafft, ohne sie zu suchen. Selbst an der Spitze war er noch ein Aal, der sich durch seine Verschwiegenheit, seine List, sein Glück auszeichnete.
    Ich hatte ja keine Ahnung, dass der Geistliche so aufsässig ist. Ich werde meine Berater tadeln, dass sie ihn eingeladen haben. Vom ersten Augenblick an hat er mir nicht den Eindruck eines frommen Mannes gemacht. Er trägt ein Glasauge. Ein eiskaltes Leichenauge. Als wir beim Nachtisch waren, hatte er die Frechheit, mir vorzuschlagen, einen ehemaligen Schüler von ihm aus dem Gefängnis zu entlassen, einen gewissen Conti. Wie ein Besessener hat er geschrien.
    Ein Besessener war er schon immer, bemerkte Dupuy.
    Er begann zu krähen, dieser ehemalige Schüler sei ein großer Schriftsteller und von der Folter vernichtet, er liege im Sterben.
    Mein Gott. Was hast du ihm geantwortet? Das war die Gattin mit den aufgequollenen Beinen.
    Die Wahrheit. Dass meine Regierung zwar mit dem kommunistischen Extremismus im Krieg liegt, aber weder foltert noch tötet. Professor Addolorato, der zu meiner Rechten saß, hat die Kastanien aus dem Feuer geholt. Wie kommen Sie dazu, eine so unpassende Anschuldigung an diesem Tisch vorzubringen, Pater?, hat er ihn unterbrochen.
    Addolorato ist grandios, sagte die Gattin.
    Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie sehr ich es ihm gedankt habe. Als der Geistliche eben zu einer weiteren Predigt ansetzen wollte, bat er ihn, sich zu beruhigen. Wir alle machen schwere Zeiten durch, sagte er. Wir wollen den Präsidenten doch nicht mit Kleinigkeiten aufhalten.
    Simón hörte auf zu essen und mischte sich zum ersten Mal ins Gespräch ein. Dupuy und Ethel fürchteten, er werde etwas Unbesonnenes sagen. Das tat er

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