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Purgatorio

Purgatorio

Titel: Purgatorio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tomás Eloy Martínez
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    Die Folter, General, ist keine Kleinigkeit, was für ein Ziel auch immer sie verfolgt.
    Zum Zeichen des Missfallens verzog der Präsident die Lippen, doch das bemerkte nur Dupuy.
    Das geht dich nichts an, Simón.
    Das geht uns alle etwas an. Ich kann zu keinem Verbrechen einfach schweigen.
    Mach dir keine Sorgen, mein Junge.
    Der Bischof hob Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand, als wollte er Simón exorzieren. Gewisse Praktiken sehen aus wie Verbrechen und sind Gerechtigkeit. Das musst du verstehen. Mit dem momentanen Schmerz eines Mannes, eines Sünders, lässt sich das Leben vieler Unschuldiger retten. Versuch es so zu sehen.
    Das ist kein Problem der Menge, Monsignore. Einen einzigen Menschen zu foltern ist für mich dasselbe, wie alle zu foltern. Das habe ich meinen Dorfpfarrer sagen hören. Als man Christus gekreuzigt hat, hat man auch die Menschheit gekreuzigt.
    Das darf man nicht vergleichen. Es hat nur einen Christus gegeben. Er war der Fleisch gewordene Gott.
    Ja, aber vor zweitausend Jahren wusste das niemand.
    Emilia atmete erregt und schwitzte. Sie schien gleich ohnmächtig zu werden. Alle wandten sich ihr zu, die sich unbehaglich fühlte so von allen beobachtet.
    Es tut mir leid, sagte sie und stand auf. Ich weiß auch nicht, was ich habe. Mir ist ein wenig übel.
    Simón, bring sie auf ihr Zimmer, befahl der Vater. Geben wir ihr einen Moment, um sich zu erholen.
    Vielleicht ist es der Champagner, sagte Emilia. Ich trinke sonst nie. Ich bin es nicht gewohnt.
    Auch die Mutter stand mit nervösen Gebärden vom Tisch auf.
    Ich geh mal schauen, was los ist mit ihr.
    Die Präsidentengattin lächelte, ohne der Episode Bedeutung beizumessen.
    Sie wird doch nicht etwa schwanger sein? In diesem Fall wäre die Übelkeit eine Gottesgabe.
    Keineswegs, unterbrach Dupuy sie unbehaglich. Weder sie noch ihr Mann sind jetzt in der Situation, eine Familie zu gründen. Das habe ich den beiden gesagt, und sie akzeptieren es.
    Die Kinder kommen ungerufen, sagte der Bischof. Man muss den Willen Gottes respektieren.
    Von da an welkte das Essen dahin, und als die Mutter mit der guten Nachricht wiederkam, Emilia gehe es besser und sie sei eingeschlafen, blieb nichts mehr zu sagen. Dupuy hatte das bittere Gefühl, der Präsident gebe ihm die Schuld an dem Verdruss, den ihm sein Schwiegersohn bereitet hatte. Beim Gehen fragte ihn der Bischof im Vertrauen, ob er Simóns Vorleben auch genau erforscht habe. Er gehört zu Ihrer Familie, Doktor, und ein Linker dürfte er nicht sein. Aber – Gott vergebe mir – er spricht wie einer.
    Mehr als einmal hatte Dupuy festgestellt, dass der Schwiegersohn kein Hehl aus seinem gefährlichen Gedankengut machte. Er müsste ihn zur Ordnung rufen. So, wie die Dinge im Land lagen, durfte man keine Abweichungen oder Risse dulden. Wie konnte Simón nicht merken, dass sämtliche Mittel erlaubt waren, wenn es darum ging, das Land vor dem Abgrund zu retten? Wenn es nötig war zu foltern, um das Land zu läutern, blieb eben keine andere Möglichkeit als zu foltern. Jeanne d’Arc und Miguel Serveto hatten durch das sakramentale Erdulden der Folter die Kirche gestärkt. Manchmal büßten Gerechte anstelle der Sünder, das war im Krieg unvermeidlich. Die Militärjunta konnte die Schnellverfahren und Hinrichtungen nicht an die Öffentlichkeit bringen, das hätte es dem Feind gestattet, sich in einer undisziplinierten, endlosen Debatte hervorzutun. Man musste die Subversiven diskret und sofort beseitigen. Wenn irgendein Militärführer lieber Gefangene machte und sie als Sklavenarbeitskraft benutzte, dann nur zu, aber in aller Stille. Der kleine Geistliche mit dem Glasauge hatte es gewagt, vor dem Präsidenten den Fall eines verschwundenen Christen zu erwähnen. Das mochte er so oft wiederholen, wie er wollte. Niemand würde ihm Beachtung schenken. Die rechtschaffenen Leute hatten genug von Gewalt. Sie wollten Frieden und Ordnung. Das argentinische Wesen, von dem Dupuy in
La República
so oft sprach, auferstand in geheiligter Form.
Gott, Vaterland, Familie
, das waren die Worte, die auf den weißen Streifen der Fahne gehörten, unter die Sonne. Das würde er im Editorial der Zeitschrift vorschlagen. Sich auf die sokratischen Fragezeichen stützend, die inzwischen sein Stilmerkmal waren, würde er sagen: »Wenn die Brasilianer ihre Demokratie im Schutze des Mottos
Ordem e Progresso
, das mitten auf ihrem Banner prangt, geschmiedet und die Amerikaner auf diese andere Schutzflagge, die ihre

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