Purgatorio
keine Rangabzeichen, aber ihrem Alter entsprechend mussten sie Korporale oder Feldwebel sein. Vielleicht war einer von ihnen Hauptmann. Militärposten waren immer einem Hauptmann unterstellt. Emilia suchte Simóns Augen, doch er erwiderte ihren Blick nicht. Er schien verloren, starrte vor sich hin, verwirrt und ungläubig angesichts dessen, was da mit ihnen geschah. Jahre später dachte sie, genau von diesem Moment an habe ihr Mann aus der Welt zu verschwinden begonnen.
Ein Schreiber mit dem Doppelkinn einer Kröte, der nach abgestandenem Bier roch, verlangte ihre Ausweispapiere und schrieb, nach jedem Buchstaben am Bleistift saugend, mit Mühe die Namen ab. Emilia, gewohnt, durch die Bürokratie ihre Zeit zu verlieren, verfolgte den langsamen Fortgang dieser Routine unbesorgt. Simón hielt seine Knie umarmt wie ein verlassener kleiner Junge.
Als sie El Abra erwähnten, wurde das Verhör grausam. Der Schreiber sprach von dem Ort nur mit Auslassungspunkten und verschluckte sich dabei fast. Die Erklärungen zu den Kartenmaßstäben, die ihm Emilia gab, brachten ihn aus dem Häuschen. Was hatten sie in El Abra zu suchen? Warum warteten sie im offenen Gelände auf das Morgengrauen? Mit wem beabsichtigten sie sich zu treffen? Was sollten sie wann übergeben? Emilia und Simón hatten keine anderen Antworten als die wahrheitsgemäßen und sagten immer wieder, sie arbeiteten an einer Karte des Automobilklubs für Touristen. Dieselbe Geschichte hatten sie mit denselben Worten auf dem vorherigen Posten erzählt, und sie hatten nichts hinzuzufügen. Doch der Schreiber gab sich nicht zufrieden. Sie mussten sie wiederholen, immer von neuem, und immer wieder fragte er dasselbe. Warum, wozu, wie viele sonst noch? Er bohrte weiter, warum sie von Buenos Aires aus zweihundert Kilometer gefahren waren, um das Nichts zu zeichnen. Seit wann verschwendete der Automobilklub Geld für Albernheiten? Stimmt, räumte Simón ein. Aber es war jedenfalls nicht unsere Idee.
Bist du ein Linker, Cardoso? Bist ein Guerillero, ein Bolschewik?
Nichts dergleichen.
Verstehst du, was Kommunismus ist?
Ich glaube schon. Das, was sich in Russland, in Polen, in der DDR ereignet.
Genau. Gottlose Länder, wo alles allen gehört. Sogar Frauen und Kinder gehören dem Staat. Es gibt kein Privateigentum. Jeder kann benutzen, was den anderen gehört.
So einfach ist das?
Die Fragen stelle
ich
. Ja, so einfach ist das. Wo es keinen Gott gibt, gibt es keinen Anstand. Findest du es in Ordnung, dass eines Tages irgend so ein dahergelaufener Kerl kommt und deine Frau vergewaltigt, einfach so?
Natürlich nicht.
Dieses Recht gibt der kommunistische Staat allen. Und so gehst du hin zu diesem Typ und revanchierst dich, indem du seine Frau vögelst.
Das habe ich noch nie gehört.
Wag es nicht zu bezweifeln. In Russland wissen das sogar die Grundschüler, und sie gewöhnen sich dran, das ist einfach so. Bei uns wird Respekt gelehrt. Als Erstes kommt Gott, dann das Vaterland und die Familie. Das ist die argentinische Dreifaltigkeit.
Wenn Sie es sagen, bezweifle ich es nicht.
Besser so, Cardoso. Du sollst es nicht bezweifeln. Wo hast du mit den Subversiven Kontakt aufgenommen?
Ich hab es Ihnen schon gesagt. Wir haben niemand gesehen, bloß diese Bettler.
Und die sind ganz zufällig aufgetaucht, was? Aus heiterem Himmel?
Wir wussten nicht, dass es da Leute gibt.
Spiel ruhig weiter den Schlaumeier. Wen willst du hinters Licht führen? Entweder antwortest du endlich, oder wir verhören deine Frau, während ich sie in deiner Gegenwart ficke. Wenn ich’s ihr von hinten besorge, wird sie endlich befriedigt sein.
Ich hab Ihnen alles gesagt, was ich weiß. Weder ich noch meine Frau kennen irgendwelche Subversiven.
Du sollst nicht für sie antworten. Kennst du einen Subversiven, Dupuy?
Nein. Keinen einzigen, antwortete Emilia.
Wie unterscheidest du einen Subversiven von einem normalen Menschen? Der Dämlack da, mit dem du gekommen bist, ist einer, und zwar ein gefährlicher. Wir haben ihn in den Akten.
Er ist mein Mann. Erkundigen Sie sich, fragen Sie. Sie begehen einen grauenhaften Irrtum.
Die sich geirrt hat, das bist du, als du diesen Linken geheiratet hast. Du hattest ein Treffen hier in der Nähe, nicht wahr, Cardoso? Der Jude, den du treffen solltest, hat dich schon verpfiffen. Du sollst nur sagen, wo die Karten und die Waffen sind, die du für ihn mitgebracht hast. Du sagst es mir und kannst gehen. Ihr könnt beide gehen. Lasst mich nicht noch mehr Zeit
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