Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Purgatorio

Purgatorio

Titel: Purgatorio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tomás Eloy Martínez
Vom Netzwerk:
verplempern.
    Ich will Sie doch nicht belügen. Wir sind nicht gekommen, um jemanden zu treffen. Man hat uns hergeschickt, um eine Karte zu vervollständigen. Das habe ich schon den Offizieren auf dem vorigen Posten erklärt. Nach getaner Arbeit wollten wir wieder gehen. Zwei, drei Stunden. Niemand hat uns gesagt, dass man das hier nicht darf.
    Hältst du mich für bescheuert? Im Urwald haben wir diese Woche fünf bis zum Arsch bewaffnete Radikalinskis verhaftet. Die hatten ein ganzes Arsenal Karten bei sich. Sie haben gesungen, alles gesagt, sogar die Muttermilch hergebetet. Die Karten dienen dazu, die Attentate vorzubereiten und dann rasch zu verduften. Täusch ich mich?
    Niedergeschlagen senkte Emilia den Kopf. Was sich da abspielte, war eine dumme Komödie, eine Episode, die sich nicht in die Wirklichkeit fügte. Sie versuchte, sich an einen sicheren, vernunftvollen Ort zu stellen, und sagte:
    Ich bin die Tochter von Dr.Orestes Dupuy. Sie haben kein Recht, uns so zu behandeln.
    Ach nein, mein Flittchen? Hier hilft dir kein Dupuy weiter. Das ist Krieg, verstehst du? Wenn ich dich auf der Stelle erschieße, gebe ich die Erklärung ab, auf die ich grade Lust habe. Dass du abhauen wolltest, dass du mit der Waffe gerangelt hast, um sie mir zu klauen, was mir eben so in den Sinn kommt. Hier hast du keinen Namen, hier gibt es dich gar nicht.
    Simón wusste nicht, wie er die Kröte beruhigen sollte. Er wartete, dass der Albtraum endlich vorbeiginge, dass man sie in Frieden ließe. Wen interessierten schon Karten, wo doch das Land auf dem Kopf stand.
    Ein anderer Wanst schaute zur Barackentür herein und fragte den Schreiber, ob er Hilfe brauche.
    Hilfe bei dieser Strichbiene?, sagte die Kröte. Du willst mich wohl verarschen? Und wenn ich sie dreimal aufs Kreuz lege, hab ich immer noch meterweise Schwanz. Der Linke, der mit ihr gekommen ist, den siehst du ja. Er ist verpfiffen.
    Simóns Kopf war auf die Brust gefallen. Mit dem Gürtel der Kröte an einen Stuhl gebunden, konnte er sich kaum rühren. Der Schreiber krempelte sich die Ärmel hoch und saugte wieder am Bleistift. Er bereitete sich auf weitere Fragen vor. Dann nahm er den Kaffeekrug, der auf einer Heizplatte warm gestellt war, und warf ihn ihm ins Gesicht.
    Wirst du mir endlich sagen, wem du die Karten gebracht hast? Für wen sind die Waffen im Jeep?
    Schmerz und Angst brachten Simón aus der Fassung. Den Körper am Stuhl festgezurrt, stand er auf und schlug blind um sich. Es war eine idiotische Reaktion, mit der er nichts gewann. Nicht einmal der Gürtel lockerte sich dabei. Mitsamt dem Stuhl brach er wieder zusammen. Das Gepolter weckte die Wänste draußen. Zwei hoben ihn hoch wie ein Fliegengewicht und warfen ihn gegen die Wand. Emilia sah ihren Mann in Zeitlupe niedergehen. Sie konnte es nicht fassen, dass ihnen das Leben genau in dem Moment eine Falle stellte, als sie endlich glücklich waren. Einige völlig belanglose Linien auf einer Karte hatten den Zufall angezogen, und dieser Zufall vernichtete sie. Die Welt weigerte sich, gezeichnet zu werden, und dieses Prinzip zu verletzen, würde sie sehr viel Tränen kosten. Sie hörte ein Splittern wie von brechenden Knochen. Simóns Nase war geschwollen und die Lippen gesprungen. Blut rann ihm über die Brust.
    Bei der Umzäunung des Postens erwarteten sie zwei grüne Ford Falcon mit laufendem Motor. Emilia wurde neben eine Wache in Zivil in den Wagen gesetzt, der als Erster losfuhr. Die Wänste prügelten Simón auf den Rücksitz des anderen. Er schlurfte mit schlaffen, unkoordinierten Beinen.
    Das war das letzte Bild, das Emilia von ihrem Mann erhaschte, und in Zukunft sollte sie oft davon träumen. Doch in den Träumen war Simón nie Simón, sondern irgendein Mann, dem sie an diesem Tag begegnet war. Oder auch eine Stadt, die fiel und sich wieder erhob. Oder eine Kerzenflamme.
    Auf der Rückfahrt verdüsterte sich der Himmel. Alle paar Kilometer änderte das Wetter seine Laune. Ab und zu prasselte ein wütendes Gewitter nieder, und aus dem Pflaster stiegen Dampfwolken auf. Jenseits davon schien wieder die Sonne, und die Luft zerbrach in Eisschuppen. Eine Kolonne Fuhrwerke mit Zuckerrohr blockierte den Weg. Der Wachsoldat neben Emilia stieg aus, um die Straße freizukriegen, kam aber gleich wieder zurück und schüttelte den Kopf. Unmöglich, da durchzukommen, sagte er. Zwei Zugtiere sind tot zusammengebrochen, die bringt keiner von der Stelle. Wir müssen eine andere Route nehmen.
    Er schaltete das

Weitere Kostenlose Bücher