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Purgatorio

Purgatorio

Titel: Purgatorio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tomás Eloy Martínez
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ohne Eile auf den blinden Raum zubewegt, der ihn weiter vorn erwartet, und sich in etwas schmiegt, wovon man nicht recht weiß, ob es Licht oder Dunkelheit ist, und auf das Ufer zufließt, an dem sich die Geschichten ereignen.
     
    Einige Zeit nach Simóns Verschwinden verschwand auf ihre Art auch Emilias Mutter. Eines Morgens beim Erwachen sah sie den Doktor vor dem Spiegel die Krawatte binden und erkannte ihn nicht. Sie fragte, wer er sei, und bat ihn, das Zimmer zu verlassen.
    Meine liebe Ethel, ich bin dein Mann, sagte Dupuy. Was ist denn mit dir?
    Sehen Sie nicht, dass ich noch im Nachthemd bin, Señor? Seien Sie so freundlich und gehen Sie hinaus. Ich bin eine verheiratete Frau.
    Der Vater rief Emilia in ihrem Büro des Automobilklubs an und hieß sie sogleich nach Hause kommen. Er wusste nicht, was er mit seiner Frau anfangen sollte, und fand, am besten ziehe er nicht sogleich den Arzt bei, sondern warte, bis sich die Symptome eindeutiger äußerten.
    Emilia wird kommen und sich um dich kümmern, Ethel, sagte er und küsste sie auf die Stirn. Ich habe den ganzen Vormittag über Sitzungen.
    Danke, Señor. Ich brauche niemanden, der sich um mich kümmert. Sobald Sie weg sind, stehe ich auf.
    Als Emilia kam, lag die Mutter noch immer im Bett. Auch sie erkannte sie nicht, akzeptierte aber ganz selbstverständlich, dass sie ihr aus der Küche ein Glas Milch und Plätzchen brachte. Sie hatte sie befremdet gegrüßt, und als sie sie mit dem Tablett zurückkommen sah, grüßte sie sie noch einmal, als wäre sie eben eingetroffen.
    Wer bin ich, Mama?, fragte Emilia und legte ihr so die Antwort in den Mund.
    Du bist meine Schwester Rita. Wer sollst du sonst sein?
    Rita war bereits vor zehn Jahren gestorben. Emilia merkte sogleich, dass die Zeit der Mutter in einer glücklichen Ewigkeit stehengeblieben war.
    Sie wurde in die Klinik gegenüber dem Haus gebracht, wo man ihre Reflexe testete und sie vergeblich nach ihrem Alter und der Stadt und der Straße fragte, in der sie wohnte. Am Nachmittag war sie noch immer in derselben gedächtnislosen Abstumpfung versunken. Manchmal hatte Emilia den Eindruck, sie finde ihre Persönlichkeit wieder. Andere Male verlor sie den Mut, wenn sie sie wie eine Fremde sprechen hörte, mit Worten, die geliehenen Stimmbändern zu entstammen schienen. Eine der Krankenschwestern sagte etwas, was ihr zu denken gab: Ich habe Patienten gehabt, die gehen wollten, Leute, die ihrer selbst überdrüssig sind. Einige genesen, wenn sie in ihrem Nichts bleiben, und würden auf der Stelle erneut krank, wenn man sie zur Rückkehr zwänge. Etwas Ähnliches hatte Emilia irgendwo bei Proust gelesen:
Das erniedrigendste Leiden ist das Gefühl, nicht mehr zu leiden.
    Die Ärzte fragten, seit wann sie diese Symptome zeige. Man wusste es nicht, da niemand darauf geachtet hatte.
    Sie ist sehr zerstreut, sagte der Vater, aber das ist sie schon immer gewesen.
    Seit einigen Wochen hat sie die Vorstellung, irgendwelche Männer spionierten sie aus, teilte Chela mit. Seither bleibt sie ruhig in ihrem Zimmer, bei geschlossenen Vorhängen. Wenn sie die Küche oder das Bad betritt, weiß sie nicht mehr, wozu.
    Wie merkwürdig, sagte der Vater. Das habe ich gar nicht bemerkt.
    Du weißt ja auch nicht, dass sie mitten in der Küche das Höschen runtergelassen und vor den Hausangestellten gepinkelt hat.
    Solche Intimitäten erzählt man nicht.
    Alle Einzelheiten helfen uns weiter, sagten die Ärzte. Wir müssen sie noch einmal untersuchen, und sobald wir eine klare Diagnose haben, wissen wir auch, wie wir ihr helfen können.
    Hier in der Klinik wird besser für sie gesorgt sein als an jedem anderen Ort. Eine Schwester soll Tag und Nacht für sie da sein, entschied der Vater.
    Das wäre ein Fehler, korrigierte ihn einer der Ärzte. Im eigenen Heim sind die Heilungschancen größer. Nichts kann die Zuneigung ersetzen, mit der Sie sie umsorgen werden.
    Das ist nicht einfach, widersetzte sich Dupuy. Ich arbeite den ganzen Tag außer Haus. Ich habe wichtige Verpflichtungen, die ich nicht einfach aufgeben kann. Wie sollen wir es merken, wenn sich ihr Zustand verschlimmert?
    Sie ist ein sehr gefügiger Mensch, sagte derselbe Arzt. Das Beste für sie ist, wenn man sie sanftmütig und geduldig behandelt.
    Haben Sie eine Vorstellung, wie lange das dauern kann?, fragte der Vater. Auch ich brauche Erholung.
    Wenn sie Sie stört, dann bringen Sie sie in einem anderen Zimmer unter, antwortete der Arzt ungeduldig. Leisten Sie ihr

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