Purgatorio
Delaware je ein Dörfchen mit Antiquitätenläden liegt, in dem sie im Freien lunchen könnten.
Sie schlüpft in Jeans, einen Rollkragenpullover und die lange Wanderjacke. Dann tritt sie von hinten an ihren Mann heran, umschlingt ihn mit den Armen und küsst ihn auf den Nacken, der nach dem billigen Aftershave aus ihrer Verlobungszeit riecht. Die Kleider sind dieselben wie am Vortag. Und abgesehen von den langen Koteletten liegt auf seinem Gesicht nicht der Schatten eines Bartes. Sie nimmt ihn bei der Hand und führt ihn treppab.
Ich möchte dir das Dorf zeigen, wo wir wohnen werden, mein Schatz.
Die Wettervorhersage geht davon aus, dass sich die Temperatur bis zum Einbruch der Dunkelheit bei fünfzehn Grad hält. Es ist weder feucht noch bewölkt. An den Samstagvormittagen spazieren die vermehrungsfreudigen Paare durch die Main Street den Synagogen entgegen, ohne je die Grenzen des
Eruv
zu überschreiten. Die ansässigen Heiden nutzen den Feiertag, um im Supermarkt einzukaufen und die Kleider in die chemische Reinigung der Koreaner zu bringen. Was tun wir, wenn wir Nancy Frears über den Weg laufen?, fragt Emilia. Sie hat ihren Mann bereits über diese Freundschaft informiert, die sie erstickt und die sie beenden möchte.
Wir gehen zu ihr und begrüßen sie, oder? Früher oder später muss ich sie ja doch kennenlernen. Das Leben geht weiter.
Die Raritan Avenue ist menschenleer. Jerusalem Pizza und Moshe Food – niemand würde glauben, dass die Geschäfte in Highland Park solche Namen tragen, aber jeder kann es selbst überprüfen – haben ihre Pforten geschlossen, Shanghai Kosher und Sushi Kosher haben ebenfalls die Jalousie heruntergelassen. Der Laden mit den israelischen Geschenken und die Brautbekleidungsgeschäfte (es gibt deren zwei, und sie florieren) geben ebenfalls kein Lebenszeichen von sich. Es ist Samstagmorgen, und die gläubigen Einwohner unterlassen es nie, den Herrn zu preisen. Trotzdem wundert sich Emilia, dass durch die sonst immer verstopfte Main Street keine Autos fahren. Sie sieht nicht einmal Leute aus dem Fenster schauen. Ab und zu bleibt vor einer Ampel ein Lieferwagen stehen. Es ist zehn Uhr, die Sonne strahlt, aber niemand nimmt Notiz davon. Nur die Eichhörnchen huschen zwischen den Bäumen hin und her und sammeln die letzten Nüsse des Herbstes.
Lass uns nach New Hope fahren, sagte Emilia. Sie hat den Altima in der Denison Street geparkt, wenige Schritte entfernt.
Simón gibt keine Antwort. Warum sollte er auch antworten, da er doch nur will, was sie will?
Es ist schon fast Mittag, als sie zur Delaware-Brücke gelangen. Am Westufer, in Lambertville, gibt es in einer kleinen Straße mehrere Antiquitätengeschäfte. Die Leute schleppen abgewetzte Stühle, gerahmte, verschossene Spiegel, Regenschirme mit Holzgriffen, Wiegen, die mit trompetenblasenden Engeln verziert sind, davon. Vor einem Schaufenster, das Repliken einer imaginären Mayflower und anderer heroischer Schiffe in versiegelten Flaschen ausstellt, steht eine Menschentraube. Zu Fuß gehen sie über die Brücke. Am Ostufer teilt das Zwillingsdorf New Hope die Gespenster mit Lambertville. Die Steinhäuser an den Ecken sind stolz darauf, schon zweihundert Jahre hinter sich gebracht zu haben: 1805 , verkündet das Postamt, 1784 , liest man an Benjamin Parrys Haus. Beim Eingang eines Spiegelladens betrachtet Emilia ihr Bild in der Tür aus geschliffenem Glas.
Die Scheibe macht ihr wieder ihr Alter bewusst, das Gewicht zweier Schultern, die allmählich abfallen, das Ungelenk der Matronenhüften, die sich dagegen sträuben, im Fitnesscenter domestiziert zu werden. Sie möchte neben Simón stehen bleiben und diesen Augenblick für immer einfrieren. Doch sie hat nicht die Kraft, sich ihrem Bildnis als alter Frau zu stellen, und aus diesem Grund hat sie im letzten Moment auch darauf verzichtet, die Kamera mitzunehmen.
In dem italienischen Gasthaus, dessen Veranden aufs Wasser hinausgehen, ist ein Fenstertisch frei. Sie setzen sich, sie bestellt eine Flasche vom schweren Chianti della casa und einen einzigen Teller Nudeln. Nachdem ihr der Spiegel ihre Fettpolster unter die Nase gerieben hat, beschließt sie, wieder zur Diät zurückzukehren, die sie vor drei Wochen aufgegeben hat, aber diesmal unbarmherziger. Simón wendet den Blick nicht vom Fluss ab. Da ihn die Sonne voll bescheint, macht sie ihn gleichzeitig undeutlich. Sie streicht wie ein großer Radiergummi über seinen Körper.
Auch sie betrachtet den Fluss, der sich
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