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Purgatorio

Purgatorio

Titel: Purgatorio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tomás Eloy Martínez
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einzukapseln und zu Ganymed zu schicken, wo sie untersucht und archiviert werden. Die Strahlen sind wie eine Herde, und ein unerfahrener Hirte würde sie erzürnen. Der Einzige, der sie lenken kann, ist bis jetzt Dr.Schroeder.
    Die Erzählung des Vaters fächerte sich immer weiter auf in Nebenflüsse, Mündungen, Schluchten, Deltas. Von einer Geschichte gelangte er zur nächsten und von dort zu einer dritten, und er entfernte sich so weit, dass er manchmal erst über lange Umwege wieder zum Ausgangspunkt zurückfand. Wenn er einen Satz beendete, verstummte er und erinnerte Emilia dann an das feierliche Versprechen der Verschwiegenheit.
    Bist du sicher, Papa? Sie wusste nicht, was sie denken sollte. Außerirdische Wesen waren ihr immer als Narretei zur Unterhaltung der Naiven erschienen. Sie hielt es für ausgemacht, dass es in anderen Welten keine menschlichen Wesen geben konnte, da Gott ja den Menschen nach seinem Ebenbild erschaffen hatte. Und natürlich auch keinen anderen Gott. Dupuy war darauf gefasst und hatte eine Antwort parat. Ein polnischer Theologe, den er seit langem verehre, der Bischof von Krakau, habe geschrieben, das Leben, von dem die Schriften sprächen, sei »universal«. Sein Mentor, Papst Johannes XXIII ., habe auf dem Vatikanischen Konzil gelehrt: »Wie klein wäre Gott, wenn er nach der Erschaffung dieses riesigen Universums nur uns erlaubte, darin zu leben.«
    Es war beinahe Mittag. Als der Vater die Tür des Arbeitszimmers öffnete, plauderte Chela munter am Telefon.
    Geh in die Klinik, Emilia, und pack alles zusammen, was im Zimmer der Mutter ist. In einer halben Stunde holen wir sie ab.
    Ein von Schroeder geschickter Krankenwagen transportierte die Mutter. Dahinter folgten Dupuy und Emilia. Die Fahrzeuge kamen nur langsam voran. Nachdem er die Avenida General Paz überquert und sich in die farblosen Vororte der Provinz Buenos Aires vorgewagt hatte, bog der Krankenwagen in Seitenstraßen ab und gelangte aufs offene Land hinaus. Die Laune des Himmels, vergessen das erbarmungslose Gewitter des Vorabends, war freundlich, gleichgültig. Einige bauschige Wolken promenierten ihre Rundungen über den Kühen, und über dem unendlichen Grün hing der Wind und wartete auf nichts. Nach einer Stunde begann sich das Flachland abzusenken, und die Straße hob sich wie eine Krampfader von ihr ab. Einige wenige Tankstellen unterbrachen die Öde. In der Ferne erkannten sie ein langgezogenes flaches Haus, das sich in der Niederung räkelte. An den Fahnenstangen beim Eingang hingen einander zwei Flaggen gegenüber, die argentinische mit ihren horizontalen, durch eine blaue Naht betonten Streifen und eine andere, auf der sich zwei durch eine Schleife verbundene schwarze abnehmende Monde vom weißen Grund abhoben. Dahinter richtete sich auf einem Zementpodest eine Stahlhalbkugel auf. Sie war riesig und konkav, mit einem langen, durchsichtigen Blütenstempel.
    Schroeders Laboratorium, verkündete der Vater. Die Fahne des Vaterlandes. Das Labarum des Ganymed.
    Das Haus war hinter einem Drahtgehege geschützt. Deutlich sah man die Nuss- und die Zedrachbäume, die geduckten Hunde, die Rebhühner. Doch was Emilia am meisten auffiel, war der Blütenstempel der Halbkugel, der spasmische Strahlen übers Land ergoss.
    Das sind die Strahlen, sagte der Vater. An einem günstigen Tag kommen sie in Hülle und Fülle von Ganymed herunter. Manchmal stehen sie wochenlang unbeweglich am Himmel und warten auf eine Gelegenheit, um zu fallen. Schroeder lässt sie herunterkommen, damit wir sie sehen können. Ein Privileg.
    Jetzt fallen sie, bemerkte Emilia.
    Sie fallen in die Schüssel, die filtert sie. Es gibt viele Strahlen, die für die Heilung nutzlos sind. Diejenigen, die auf den Asteroidengürtel prallen, sind kontaminiert – siehst du? Sie führen Staub mit, der nicht von ihnen zu lösen ist. Schroeder hat sie an Mäusen und Ziegen ausprobiert. Er hüllt die Tiere in diese unreinen Strahlen und bläht und bläht sie, bis sie platzen.
    Mein Gott, wie grausam.
    So kann die menschliche Spezies gerettet werden. Die Grausamkeiten retten uns.
    Der Krankenwagen fuhr vor. Vom Gatter aus sah Emilia Schroeder (sie war sich sicher, dass es Schroeder war) mit ausgebreiteten Armen auf sie zukommen. Es war schwierig, ihm in die Augen zu blicken – seine Pupillen wanderten unablässig von einer Seite zur anderen, wie die Kugeln beim Flippern.
    Willkommen. Wir haben Glück gehabt, sagte er. Diese reine Luft ist günstig fürs Eintreffen

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