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Purgatorio

Purgatorio

Titel: Purgatorio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tomás Eloy Martínez
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der Strahlen. Wir werden sie sehen können.
    Seine harten R rissen die Worte auf, doch sein Spanisch hatte eine tadellose Syntax. Sämtliche Gegenstände im Laboratorium befanden sich an dem einzigen Ort, an dem sie sich im Universum befinden konnten, am selben geordneten, unverrückbaren Platz wie die Gegenstände auf den Gemälden Vermeers. Und übrigens – falls es denn kein echter Vermeer war, was man im Raum rechts vom Eingang über Schroeders Schreibtisch sah, so glich er ihm allzu sehr: eine junge Frau aus Delft, die vor einem vom unverwechselbaren Licht des Meisters durchleuchteten Fenster saß und einen Brief las.
    Ist es das, was ich zu sehen glaube?, fragte Emilia.
    Ein Vermeer, ja, aber er gehört nicht mir, erklärte Schroeder. Ich habe mein Leben für ihn aufs Spiel gesetzt, als ich Deutschland verließ. Eines Tages wird ihn sein Eigentümer holen kommen.
    Rechts vom Büro tat sich ein riesiger Raum auf, von unten bis oben angefüllt von Apparaten mit oszillierenden Nadeln und Glasspiralen, die einem Hollywoodfilm zu entstammen schienen. Kommen Sie und schauen Sie sich den Tomographen an, sagte Schroeder. Wir haben ihn soeben in Betrieb genommen. Man hatte die Mutter in einen Sessel mit kerzengerader Lehne gesetzt. Ein Assistent des Arztes maß ihren Blutdruck und die Temperatur. Der andere rückte den Helm bis auf zehn Zentimeter an den Kopf heran. Der Apparat sprühte blaue Blitze, die für einige Sekunden den ganzen Saal beleuchteten. Das Gesicht der Mutter drückte weder Schmerz noch Staunen aus. Es war in einem friedlichen Lächeln festgefroren.
    Jetzt fangen wir mit der Behandlung an, sie ist ebenso materiell wie spirituell, sagte Schroeder. Gestatten Sie, dass ich mich konzentriere.
    Er verbarg sich im Umkleideraum neben dem Badezimmer hinter einem Vorhang und raunte eine Art Gebet. Es war eine unverständliche vergangene Sprache, die übergangslos Laute aus dem Sanskrit, dem Gotischen, dem Armenischen und den anatolischen Dialekten verband, etwas, was sich dem Menschen in indoeuropäischer Dämmerung in den Hals gesetzt hatte. Euphorisch kam er wieder hervor. Seine Pupillen flatterten wie kleine Nachtfalter um ein Licht, das sich überallhin zu bewegen schien. Das wär’s, sagte er. Setzt ihr den Helm auf.
    Der Assistent betätigte ein Pedal, und der Apparat bedeckte den Kopf der Mutter bis zur Nasenwurzel. Die Nadeln zitterten, und in den Glasschlangen vibrierten die Regenbogenfarben.
    Schauen Sie jetzt zum Fenster hinaus und beobachten Sie die Wirkung der Strahlen im Wasserbecken.
    Draußen neben dem Haus tat sich ein Wasserrechteck mit Sprungbrettern an beiden Enden auf. Von der Oberfläche erhoben sich flüssige Schnäbel, die sich immer stärker belebten und rasch eine Höhe von fünfzehn bis zwanzig Metern erreichten, ohne je ihre Form von senkrecht aufragenden Nadeln zu verlieren. Es war, als steige und falle das Wasser auf der Oberfläche einer Glasscheibe. Wenn es auf dem Höhepunkt anlangte, verfärbte es sich bunt, manchmal blau oder purpurn oder tiefgrün. Unversehens beruhigte sich alles, und in den Raum brach eine blinde, absolute Stille ein, die aus Vorzeiten zu kommen schien. Triumphierend hob Schroeder eine lange Glasröhre mit einer dicken, dunklen Substanz.
    Die bösartigen Zellen sind gewichen, verkündete er auf Zehenspitzen. Da sind sie, eingekapselt, die Dämonen der Krankheit.
    Und Sie haben ihr den Krebs genommen? Einfach so, schmerzlos?, fragte Emilia. Ist das möglich?
    Er gab keine Antwort. Er nahm Dupuy beim Arm und führte ihn zur Veranda, die ums Haus herumführte.
    Mehr als möglich. Es ist wirklich. Bei Ganymed hat jede Wirklichkeit ihre Kehrseite. Ihre Frau ist da, und sie ist auch dort.
    Wie sollen wir wissen, wann Ethel Ethel ist?
    Nie, antwortete Schroeder unerschütterlich. Jemand auf Ganymed hat bei ihr Kenntnisse entdeckt, die es verdienen, gelernt zu werden. Ich weiß nicht, wie Señora Dupuy dort sein wird. Die von hier wird immer der Mensch sein, der mit Ihnen gekommen ist: sanft, gefügig, verloren und ohne Erinnerung. Aber gesund.
    Was für Kenntnisse kann man bei ihr schon gefunden haben?, sagte Dupuy sarkastisch. Da muss ein Irrtum vorliegen. Die arme Ethel war immer sehr unwissend. Sie kann mit Mühe und Not lesen und beten.
    Täuschen Sie sich nicht. Ihre Gattin ist sehr viel wert, Dupuy. Passen Sie auf sie auf. Sie kann jetzt mit Ihnen zurückfahren. Die Krankheit hat keine Spuren in ihr hinterlassen.
    Passen Sie auf sich auf, Schroeder. Auch

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