Purgatorio
hatten seinen Ehrgeiz geläutert. Wenn Welles seinen Anordnungen nachkam, würde der Dokustreifen über Argentinien als Bibel des Films in die Geschichte eingehen. Je mehr er über das Projekt nachdachte, desto mehr wuchs die Gewissheit, dass es nicht fehlschlagen konnte. Er würde ihm sämtliche erforderlichen Mittel zur Verfügung stellen. Die Personen wären Helden wie die griechischen Krieger. Und die Handlung, o ja, die musste genau ausgefeilt werden, sie würde von Schlachten erzählen wie die in
Krieg und Frieden
, wie die in
Moby Dick
, wie die in der
Ilias
, aber auf einem Fußballfeld. Es hätte ihn entzückt, wenn der Film
Götter des Stadions
hätte heißen können, aber die Riefenstahl war ihm zuvorgekommen.
Der Welles, dessen Bekanntschaft er in Toledo gemacht hatte, war ein höflicher Mann, eher ein gelangweilter Ochse als ein Kampfstier. Und nach Toledo, sagten seine Informanten, hatte er sehr gelitten. Er war immer knapp bei Kasse, schlug sich mit Produzenten herum, die ihm seine Kunstwerke verstümmelten.
Das soll ihm mit mir nicht passieren, dachte Dupuy. Ich spreche dieselbe Sprache wie er. Er hatte ihn zum ersten Mal vor dem Stierkampf gesehen, mit dem sich Antonio Bienvenida von der Arena verabschieden wollte. Er saß tief in einem roten Samtsessel im Vorraum der Matadorengarderobe versunken, umnebelt vom Rauch einer riesigen Zigarre. Dupuy hatte keine Ahnung, wer er sein könnte. Er hatte ihn weder auf der Leinwand gesehen, noch kannte er seinen Ruhm. All das sollte er erst später erfahren. Er nahm an, es sei ein Stierkampfkritiker, und grüßte ihn respektvoll: Ave Maria Purissima. Welles musterte ihn von oben bis unten und gab keine Antwort. Bist du kein Katholik?, fragte Dupuy überrascht. Ein guter Katholik antwortet, Amen. Welles lächelte von oben herab: Über meine Privatangelegenheiten spreche ich nicht, Señor, sagte er in tadellosem Spanisch. Bist du nun einer oder nicht?, insistierte Dupuy. Ich weiß es nicht. Ich werde es dir andersrum sagen: Wer einmal katholisch gewesen ist, ist es für immer. Das denke ich auch, antwortete der Doktor zustimmend. So lautet die Lehre.
Bienvenida kam in seiner bestickten Stierkämpfertracht aus der Garderobe und stellte sie einander vor. Er war ein vornehmer melancholischer Herr und nervös. Der Stierkampf dieses Nachmittags sollte der letzte seines Lebens sein. Hoffentlich sehen Sie einen schönen Kampf, sagte er. Mit Gottes Hilfe, ergänzte Dupuy. Und wandte sich Welles zu, der einen Kopf größer war als er. Na, Sie auch, Mann, worauf warten Sie noch? Wünschen Sie ihm viel Glück. Welles sagte kein Wort, reichte Bienvenida die Hand und drückte seine Zigarre aus.
Als er sich jetzt diese Begegnung in Erinnerung rief, lächelte Dupuy und hatte keine Zweifel mehr. Er würde Welles alles zu Füßen legen, was dieser verlangte, Menschenmengen, Kulissenstädte wie die in Hollywood, er würde ihm zugestehen, seine eigenen Techniker und die Assistenten seines Vertrauens mitzubringen, und dafür sorgen, dass es ihnen an nichts mangelte. Er, Dupuy, würde die Hintergrundmusik aussuchen. Er würde Welles davon überzeugen, dass sie martialische Lieder brauchten, mitreißende Stücke und vor allem Tangos. Er würde ihn zu Piazzolla bringen, der seit Monaten an einer WM -Suite schrieb. Er würde ihm sagen, er sei der Komponist von
Der letzte Tango in Paris
, ein Richard Strauss, ein Nino Rota. Orson würde ihm auf Knien danken.
Am nächsten Tag legte er den Militärs den Plan vor. Er sprach einzeln mit ihnen – wenn sie zusammen waren, wollte jeder das Wort führen. Er sah, dass sie die Lösung großartig fanden, aber ewig? Ein Film sei noch lange nicht die Chinesische Mauer – kein Film – und auch nicht so symbolisch wie der Obelisk von Buenos Aires. Sie machten es ihm deutlich: Konnte man nicht einen doppelt so hohen Obelisken mit einem Fußball zuoberst bauen? Bei seinen Gesprächen mit ihnen verlor Dupuy Stunden, während sie ihn mit Anrufen, dem Unterschreiben von Dekreten, Beratungen mit hohen Befehlshabern unterbrachen. Der Marinekommandant, ein Admiral, sagte, er billige die Idee, wenn er dabei gezeigt werde, wie er mit Peróns Witwe das Stadion betrete. Die Witwe stand unter Arrest, und die Szene müsste im Geheimen gedreht werden. Für den Luftwaffenchef sollte der Film mit einem Defilee von Kampfflugzeugen beginnen. Der Aal schließlich verlangte, an der Stelle von Luftballons und Tauben solle Welles ein Gebet sprechen und um Gottes
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