Purgatorio
Nach der Vergewaltigung wurden die weniger unterwürfigen in die Moskwa geworden, die anderen in die Armeebordelle und auf die sibirischen Höfe gebracht. Bruchstücke dieser schaudererregenden Schilderung entdeckte ich in einem Buch von Donald Rayfield über Stalins Gehilfen und ihren Machtmissbrauch. Dort sah ich auch ein verwirrendes Foto des vierzigjährigen Beria, der dem Doktor sehr ähnlich sah: dieselbe breite Stirn mit großen Geheimratsecken, derselbe wollüstige Mund, die Adlernase. Dank der demokratischen Öffnung konnten einige Zeitungen weitere düstere Geschichten von Dupuy verbreiten, doch durch die Lawine von Zivil- und Strafklagen, mit der er sich verteidigte, wurden sie mundtot gemacht. Viele von denen, die ihn hätten anklagen können, waren seine Spießgesellen gewesen, und nicht einmal die Waisenhauslehrerinnen identifizierten ihn als den Mann, der die Insassinnen mitgenommen hatte.
Ende 1977 war Dupuy der Berater, der von den Militärkommandanten am häufigsten beigezogen wurde, der Einzige, den sie in ihren Machtkämpfen als Moderator akzeptierten. Eines Abends Ende November wurde er ins Regierungsgebäude zitiert. Es waren noch sieben Monate hin bis zur Fußballweltmeisterschaft, und die Stadien, die Hotels für die Presseberichterstatter, die Autobahnen, der Sender zur Farbübertragung der Spiele – alles war rechtzeitig fertig worden. Dupuy vermutete, er sei gerufen worden, um in einer weiteren der endlosen Streitigkeiten zwischen den Waffengattungen zu vermitteln. Er würde aufrichtig sein, ihnen sagen, sie sollten das untereinander ausmachen. Oder vielleicht würde man ihn bitten, unauffällig mit der lästigen Frauengruppe Schluss zu machen, die jeden Donnerstag um die Pyramide der Plaza de Mayo zog, direkt vor den Augen der Machthaber, um ihre verschwundenen oder toten Söhne einzufordern. Mit welcher Mission ihn die Militärs auch immer betrauen würden, er würde die beste Lösung zu finden wissen, die, die alle drei zufriedenstellte.
Als er eintraf, war es beinahe Mitternacht. Die Gänge des Regierungsgebäudes waren menschenleer. Dupuy hatte sie immer wieder abgeschritten und wusste, dass er behutsam vorangehen musste. Alle zwanzig oder dreißig Meter trat jemand aus den Schatten heraus und verlangte seine Papiere. Die Luft wurde immer wärmer. Er lehnte sich an die Brüstung der Galerie und betrachtete die Palmen im Hof. Die Nacht schritt voran, die Dunkelheit wuchs (anders kann man die langsame Entzündung der Wirklichkeit nicht erklären), und der Blütenstaub färbte die Fliesen klebrig gelb. Ein Adjutant trat zu ihm und begleitete ihn in den Saal, wo die Kommandanten gerade ihr Abendessen beendeten. Sie wirkten nervös, verärgert. Der Tisch war übersät mit ausländischen Presseausschnitten, Karikaturen, großen Schlagzeilen über die geheimen Konzentrationslager, die Folterungen und Zahlen verschwundener Personen. Eine der Karikaturen zeigte den Aal mit dem Hitler-Schnurrbärtchen und der nämlichen in die Stirn fallenden Haarsträhne. Der Zeichner hatte sich Mühe gegeben, die Strähne glänzend und pomadegehärtet erscheinen zu lassen. Dupuy hatte den Eindruck, der Marinekommandant vergnüge sich bei dieser Ansammlung von Unbeholfenheit. Er war ein massiger, muskulöser, arroganter Mann, das genaue Gegenteil des Aals. Er entschuldigte sich bei Dupuy für die späte Stunde und bat ihn, Platz zu nehmen.
Wir wollen Sie nicht lange aufhalten, sagte er. Sie haben ja bestimmt verstanden, wozu wir Sie herbestellt haben. Wir benötigen Ihre Phantasie, Ihre Hilfe.
Da ist eine Kampagne gegen uns in Gang gesetzt worden, fuhr der Aal fort. Wir wollen sie sobald wie möglich stoppen. Es fehlt nicht mehr viel, und das ganze Land wird vor aller Welt zu einem Schaukasten. Man wird alles unter die Lupe nehmen, was wir gemacht haben.
Sie haben vermutlich die letzte Kolumne gelesen, die ich in
La República
veröffentlicht habe, um dieser niederträchtigen Kampagne einen Riegel vorzuschieben.
»Menschenrechte?« Ein Musterbeispiel für Intelligenz, Doktor, wie alles, was Sie schreiben, sagte der Marinemann. Aber was Sie sagen, hat leider Gottes nur im Land selbst Einfluss. Und das Land ist bereits überzeugt. Es versteht, dass man, wenn man die Regierung angreift, die Nation angreift. Was wir hingegen nicht kontrollieren können, sind die Verleumdungen von außen.
Die antiargentinische Kampagne, unterbrach ihn der Aal. Sie werden die Zeichnungen gesehen haben, die mich lächerlich
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