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Purgatorio

Purgatorio

Titel: Purgatorio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tomás Eloy Martínez
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eingehen lässt, einen
Citizen Kane
unter den Dokumentarfilmen. Denk einen Augenblick an die Ouvertüre, Orson. Der blaue Himmel, die bunten Wolken, Tausende Vögel, der entfesselte Chor der Menschenmassen, die noch nicht zu sehen sind. Und ein Mikrophon, das von oben herabkommt wie in deinem
Der Glanz des Hauses Amberson
(seine Berater hatten ihm empfohlen, es nicht zu vergessen – das Mikrophon, die ehrfurchtgebietende Stimme, das ehrfurchtgebietende Ego). Und dann, ja, dann kommt deine Stimme und weitet die Leinwand: »Ich bin Orson Welles in Argentinien. Ich habe diesen Film geschrieben und inszeniert.« Was hältst du davon?
    Ungläubig schaute ihn Welles an. Da, in diesen Papieren, habe ich gelesen, dass es in deinem Land Magier gibt, Zauberkünstler, Charlie. Stimmt das? Wie du bestimmt weißt, bin ich eher ein Zauberkünstler als ein Filmregisseur. Man hatte Dupuy gesagt, vor kurzem habe Welles einen Film über Fälschungen und Magie gemacht,
F wie Fälschung
. Im kleinen Projektionsraum von
La República
besaß er eine Kopie davon, aber er hatte keine Zeit gehabt, sie sich anzuschauen. Willst du die Zauberer filmen? Dupuy war überrascht. Kein Problem, sagte er. In Argentinien gibt es viele. Du kannst auf alle zählen, die du brauchst. Hör zu, Charlie, da lese ich (Welles legte seine Pranke wieder auf die Aktendeckel), dass die Zauberer deiner Regierung in den Straßen Menschen verschwinden lassen. Dupuy schreckte auf. Das hat man dir gesagt? Verleumdungen. Argentinien ist das Opfer einer perversen Kampagne, eines von subversiven Terroristen geknüpften Lügengewebes. Niemand verschwindet. Dieses Thema brauchst du in deinem Film gar nicht zu berühren. Wir wollen im Gegenteil zeigen, dass unser Land den Frieden liebt und dass unser Volk glücklich ist. Denken wir positiv, Orsten. Diese Wendung des Gesprächs behagte ihm nicht. Sie bewegten sich in der falschen Richtung, und je weiter sie gingen, desto schwieriger wäre die Umkehr. Er musste stoppen, ehe Welles oder er die Geduld verlören. Schon wollte er fragen, welches sein Preis war, aber er beherrschte sich. Der Regisseur war gewitzt und raffinierter, als die Geheimdienste dachten.
    Womöglich werden wir uns einig, Charlie, sagte Welles. Vielleicht weißt du, dass ich vor sehr langer Zeit mein Land mit einem Radioprogramm zum Zittern gebracht habe. Ich habe zwei Millionen Menschen davon überzeugt, dass die Marsbewohner in New Jersey einfielen. Halb wahnsinnig vor Angst, ergriffen die Leute die Flucht auf den Straßen. Die Kunst ist Illusion, Charlie, die Wirklichkeit ist Illusion. Die Dinge gibt es nur, wenn man sie sieht, man könnte sagen, dass die Sinne die Dinge erst erschaffen. Aber was geschieht, wenn sich dieses nicht existierende Etwas erhebt und dir in die Augen schaut? Es hört auf, ein Etwas zu sein, zeigt dir, dass es existiert, lehnt sich auf, ist ein Jemand mit Druck und Nachdruck. Diesen Jemand kannst du nicht zum Verschwinden bringen, sonst könntest auch du verschwinden. Die Menschenwesen sind keine Illusionen, Charlie. Sie sind Geschichten, Erinnerungen, Vorstellungen Gottes, so wie Gott die Vorstellung von uns allen ist. Wenn man nur einen Punkt dieser unendlichen Linie auslöscht, löscht man die ganze Linie aus, und in dieses schwarze Loch können wir alle fallen. Sei vorsichtig, Charlie. Dupuy war verwirrt, er konnte sich nicht vorstellen, wohin ihn Welles bringen wollte. Wenn ihm der Plan nicht zusagte, brauchte er doch nicht so um den heißen Brei herumzureden.
    Ein eisiger Wind fuhr durch die Galerie. Der Regisseur hatte ein großes schwarzes Cape und einen Schal in Reichweite liegen, beachtete sie aber keinen Moment. Er schien immun zu sein gegen den Wind, die Last des Halbdunkels, das rostfarbene Dezemberlaub, das noch immer fiel. Er rief nach einem weiteren Whisky. Vor zwanzig Jahren hat man mir angeboten, einen Dokumentarfilm über Babe Ruth zu drehen, sagte er. Weißt du, wer Babe Ruth war? Ein Baseballgott, wie es nie wieder einen geben wird. Ich mochte Baseball nicht, ich hatte Babe in seinen ruhmreichen Jahren nicht gesehen, aber die Menschen haben ihn vergöttert, und mich interessierte es, diese Vergötterung in einem Film einzufangen. Also willigte ich ein und machte mich an die Arbeit. Wir drehten einige wenige Sequenzen mit ihm. Er war schon sehr krank, Kehlkopfkrebs, und konnte natürlich nicht sprechen. Ich konnte die Produzenten davon überzeugen, dass wir Babe erfinden, ihm ein Leben erschaffen mussten. Ich

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