Purgatorio
wollte ihn zeigen, wie er Roosevelt die Hand gab, Marlene Dietrichs Beine berührte, mit Gary Cooper würfelte. Im Film kann man alle erdenklichen Wirklichkeiten erschaffen, erfinden, was es noch nicht gibt, die Zeit in der Vergangenheit zum Stehen bringen oder sie in die Zukunft gleiten lassen. Die Fußballspiele kann man auf dem Nichts zeigen, Charlie, sie sind Rauch in der Luft, Stadien lassen sich mit Menschenmassen füllen, die reine Spezialeffekte sind. Wir werden ja sehen, ob wir uns einigen können. Wir machen deinen Dokufilm, aber es gibt weder eine Fußball- WM noch Spieler, noch Spiele. Es gibt bloß Zauberei. Man hört auf, es zu sehen, man hört auf zu sprechen, und alles verschwindet. Das wird eine große Metapher für dein Land sein.
Nimm deine Uhr ab, Charlie, und gibt sie mir für ein paar Sekunden, sagte Welles. Es war eine zwanzigtausend Dollar teure Patek Philippe. Er hielt sie ihm vor die Augen und bedeutete Dupuy, sie sehr genau zu beobachten. Dann warf er sie auf den Boden der Galerie und zertrat sie. Die Eingeweide der Uhr zerspritzten. Der Doktor verstummte. Ganz ruhig, Charlie, sagte Welles. Du wirst sie wiederhaben. Sie wird identisch sein mit der vorher, aber es wird nicht die von vorher sein, wir müssen sie aus der Unwirklichkeit holen, in der sie sich jetzt befindet. Der Tritt mit dem Schuh hat ihr nichts anhaben können, aber in den Sekunden, die vergangen sind, seit du sie mir gegeben hast, ist sie eine andere Uhr geworden. Da, Charlie. Der Regisseur öffnete die Hand, und die Patek Philippe kam so zurück, wie sie gewesen war, bevor sie auf den Boden geworfen wurde, oder wenigstens sah es so aus. Welles fand zu seiner guten Laune zurück und Dupuy zu seinen Hoffnungen. Er würde nicht mit leeren Händen nach Buenos Aires zurückkehren, aber er war sich nicht mehr ganz sicher, ob es eine so gute Idee war, den Dokumentarfilm Welles anzuvertrauen. Er hatte den Eindruck, einem Verrückten gegenüberzusitzen.
Erklär dich deutlicher, Orsten, sagte er, sprechen wir von diesem Film. Gefällt dir das mir der Ouvertüre, dem blauen Himmel, den Vögeln, dem Mikrophon?
Vielleicht, sagte Welles. Wie soll’s denn weitergehen?
Dupuy faltete das Papier mit dem Gebet auseinander, das er während des langen Fluges aufgeschrieben hatte, und las es vor. Im Film hört man deine Stimme, Orsten. Hier steht es auf Spanisch, aber ich werde es dir übersetzen. »Ich bin Orson Welles, ich spreche vom Fußballplatz River Plate in Buenos Aires, Argentinien, aus. Lasst uns die Emotionen dieses aufrechten, menschlichen Landes teilen, das als eine seiner herausragendsten Großtaten die Fußballweltmeisterschaft 1978 organisiert und damit den Skeptikern eine Antwort gegeben hat, die dachten ›So weit werden sie es nicht schaffen‹. Hier sind in Rekordzeit Stadien, Straßen und Flughäfen gebaut worden. Hier liebt man das Leben und lebt in Frieden.« Wie findest du das, Orsten?
Das ist nichts für mich, Charlie, das ist zu geschwätzig. Das soll Robert Mitchum lesen. Der hat eine gelassenere Stimme.
Wie du willst, Orsten, sagte Dupuy. Wir werden Mitchum engagieren, koste es, was es wolle.
Wie viel wollt ihr denn ausgeben, Charlie?
So viel wie nötig. Das Gesamtbudget für die WM beträgt 400 Millionen Dollar. In den Film könnten wir fünfzig, sechzig investieren, das Erforderliche eben.
Nicht so hoch hinaus, Charlie. Der Dokufilm, den ich im Kopf habe, wird dich höchstens zwei Millionen kosten. Der größte Teil wird in Trickmaschinen, Effekte, Spielereien beim Schnitt gesteckt. Es sind keine Stadien, Spieler, Zuschauer nötig. Was wir schaffen werden, ist Illusion. Wie im Hörspiel mit den Marsmenschen. Ohne politische Reden, ohne patriotische Lobhudeleien, diese Töne schlage ich nicht an.
Welles verwirrte ihn noch immer. Wie kam er darauf, einen Dokumentarfilm über die Weltmeisterschaft zu machen, ohne dass die Weltmeisterschaft ausgetragen wurde? Der Trick mit der Patek Philippe zeigte ihm, dass der Regisseur ein Täuschungsgenie war und Millionen nasführen konnte, wie er auch ihn genasführt hatte. Aber ich bin ein Vernunftmensch, sagte sich Dupuy. Den Kommandanten werde ich keine Seifenblasen verkaufen. Ich muss festen Boden unter den Füßen haben, wissen, worauf dieser Gaukler mit seinem Wahnwitz hinauswill. Vielleicht ist, was er im Kopf hat, großartiger als
Götter des Stadions
und Albert Speers kaiserliches Berlin, vielleicht will er einen Film so unsterblich wie die Große
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