Purpur ist die Freiheit 01 - Das Leuchten der Purpurinseln
entscheidende Faktor für eine gelungene Färbung. Stundenlang hatte sie die neu angesetzte Küpe überwacht, hatte gerührt, die Temperatur reduziert und die nach oben treibenden Schneckenteile abgefischt, bis sie die Arme kaum noch heben konnte. Es war wichtig, gleichmäßig und stetig zu rühren und den Rhythmus nicht zu unterbrechen, sonst konnte es geschehen, dass man allzu bald müde wurde. Müde, wie ihr Abu Alî.
» Was für eine Plage mit den alten Gelenken!«, schimpfte er übellaunig, wenn ihn seine Gebrechen zwangen auszuruhen. » Zuerst waren es nur die Augen, und nun auch die Beine. Wenn wenigstens der Husten wieder vergehen würde! Es ist zwar Allahs Wille, dass wir unser Alter am Körper spüren sollen, doch bei der Arbeit ist es wirklich hinderlich!«
Nach und nach hatte sie deshalb in den vergangenen beiden Jahren viele seiner Aufgaben nahezu vollständig übernommen. Während er sie beriet und sich so gut es ging seinen Forschungen widmete, kümmerte sie sich nicht nur um die Teppichwerkstatt, sondern mittlerweile auch um die Färberei.
Mit einem letzten Blick prüfte Mirijam die Feuerstellen.
Noch drei Tage und Nächte musste eine gleichmäßige Glut unter den aus gebrannten Ziegeln gemauerten Rundbottichen glimmen. Die Bottiche fassten jeder etwa drei Malter Flüssigkeit und waren so groß, dass sie und ihre Arbeiterinnen mit ihren langen Spateln gerade noch den Grund erreichten. Noch drei Tage mussten die Frauen Schwerstarbeit leisten und rühren und die auf der Urinbrühe treibenden Schneckenreste abschöpfen. Im Laufe dieser Tage würde das Rühren immer mühseliger werden, da sich der ursprünglich wässrige Sud allmählich in eine dickliche, gelbe Masse verwandelte. Erst mit diesem Konzentrat konnte man weiterarbeiten.
Alle anderen der benötigten Farben waren hingegen fast problemlos herzustellen. Nicht nur die Pflanzen dazu waren leicht zu beschaffen, auch das Färben bereitete kaum Mühe. Allein der Purpurfarbstoff war jedes Mal eine echte Herausforderung. Das Ergebnis aber lohnte die Mühe, fand zumindest der Hakim.
Mit Purpur färbten sie ausschließlich die feine Unterwolle von Kamelen und Schafen oder, doch das kam nur selten vor, Bündel von Seidenfäden. Die gröberen Deckhaare der Tiere wurden nach dem Spinnen mit Pflanzenfarben veredelt, oder sie blieben in ihren natürlichen Farben Weiß, Braun, und Schwarz mit all den Abstufungen. Alles aber wurde später in ihrer Weberei und Knüpfwerkstatt weiterverarbeitet.
Neuerdings bereitete Mirijam die Teppichwerkstatt wieder große Freude. Mit der neuen Technik der Knüpfkunst auf gewebter Unterlage erzielte man wunderschöne Ergebnisse, und nun endlich kamen auch die Muster, die sie entwarf, zur Geltung. Endlich entstanden Teppiche nach ihren Vorstellungen, farbenfroh und voller Bewegung und Schönheit. Sie hatte zusätzliche Weberinnen eingestellt und zu Knüpferinnen ausgebildet, so dass inzwischen zwanzig Frauen für sie arbeiteten. Und selbst wenn die älteren Berberinnen immer noch ein wenig die Nase rümpften, waren auch sie im Grunde mit dieser Entwicklung zufrieden. Ihre Traditionen blieben unangetastet, da die neuen Muster ausschließlich bei den zusätzlich bestickten und mit Knüpfereien versehenen Teppichen angewandt wurden.
Im Lager türmten sich inzwischen eine Menge fertiger Decken und Läufer sowie etliche prachtvolle Teppiche. Einiges davon brachte sie bei den Portugiesen unter, die die Stücke in ihre Heimat sandten, und einzelne Exemplare verkaufte sie an durchziehende Karawanen, aber insgesamt klappte es mit dem Verkauf nicht so, wie ihr Abu gemeint hatte. Um den Handel mochte sich der alte Arzt nicht gern kümmern. Er, der sich sonst doch auf die unterschiedlichsten Dinge verstand, war zu Mirijams Überraschung ein miserabler Händler, der weder Geschick noch Interesse an Verkaufsverhandlungen hatte.
» Der Hakim wartet.« Hassans drängender Ruf trieb Mirijam endlich zur Eile an, und bald darauf bestieg sie das Boot.
» Meine Tochter, dies ist Senhor Alvaréz, wohnhaft in Santa Cruz de Aguér und Kapitän und Eigner der schönen Santa Anna unten im Hafen. Senhor Alvaréz, ich darf Euch meine Tochter Lâlla Azîza el-Mansour vorstellen, die Purpurfärberin, von der man Euch offenbar bereits erzählt hat.«
» Und zwar nur das Beste, verehrter Sherif Alî, nur das Allerbeste! Eure Tochter soll wahre Wunder vollbringen!«
Mirijam fühlte sich mit ihren wirren, verklebten Haaren und verschmierten Fingern
Weitere Kostenlose Bücher