Purpur ist die Freiheit 01 - Das Leuchten der Purpurinseln
tatsächlich ein wenig befreit und auf seltsame Weise getröstet.
Gern hätte sie über Aishas Erklärung nachgedacht, doch die Schwarze griff bereits nach dem neuen Stöckchen zum Zeichnen. Sie skizzierte eine Gebärende. » Wir sollten fortfahren. Wie du weißt, entstehen aus dem Samen, den der Mann in die Frau pflanzt, in der Wärme ihres Bauches die Kinder. Sie wachsen in ihr heran und werden geboren, wenn es an der Zeit ist. Darüber weißt du genug, denke ich. Es ist, wie es ist, bei Menschen wie bei Tieren, und es ist Allahs Wille, dass die Frauen dies als unabänderlich hinnehmen sollen.«
Sie verwischte die Darstellung im Sand und begann von Neuem zu zeichnen. » Dein Vater bat mich, dir insbesondere von den Freuden der Liebe zu erzählen.«
» Abu Alî? Du hast mit ihm gesprochen?«
» Natürlich. Er sagte, er fürchte, du könntest allzu geringe Kenntnisse haben, da dich keine Mutter vorbereiten konnte. Also, die Freuden der Liebe. Nicht, dass ich darüber aus eigener Erfahrung viel wüsste, aber höre, was andere Frauen mir anvertrauen.«
Mit wenigen Strichen zeichnete sie einen Mann auf dem Rücken liegend und eine Frau, die sich mit gespreizten Beinen auf sein hochgerecktes Glied setzte. » Bei dieser Position hat die Frau viel Bewegungsfreiheit und kann bestimmen, wie tief der Mann in sie eindringt. Ebenso wie in dieser Lage, wenn beide auf der Seite liegen. So sollte man übrigens miteinander schlafen, wenn die Frau ein Kind trägt, es ist schonender.« Und schon hatte Aisha das Paar skizziert. » Außerdem scheint es manchen Frauen Freude zu bereiten, wenn …«, und die nächste Zeichnung entstand.
Während des Rückwegs fühlte sich Mirijam atemlos und ein wenig benommen. Es gab keinen Fluch, das war eine große Erleichterung, aber diese Zeichnungen … Ihr Herz schlug aufgeregt. Wenn nun Miguel …? Und ob sie …? Sie dachte an das kleine Päckchen mit den Pillen in ihrem Gewand. Bilsenkraut! Und was hatte Aisha zum Schluss gesagt? » Sei nicht ängstlich, zur Liebe gehören immer zwei! Mach du den Anfang. Geh auf ihn zu, streichle und küsse ihn, und du wirst sehen, alles geht plötzlich wie von selbst.« Was für ein Ratschlag für eine Braut, dachte Mirijam mit beklommenem Herzen.
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MOGADOR WINTER 1526 – 1527
Der Tag der Hochzeit kam schneller als gedacht. Die Arbeit in allen Manufakturen ruhte bereits seit Tagen, dafür gab es in den Küchen umso mehr zu tun. Neben Cadidja hatten fünf weitere Frauen unablässig an mehreren Feuerstellen allerlei Schmackhaftes gebraten, gebacken und gekocht.
Heute sowie an den beiden folgenden Tagen würde man den Gästen, unter ihnen den Armen der Stadt, Joghurtsuppe mit Dill, Minze und grünen Rosinen servieren. Außerdem warteten geschmorte Hühnchen, zarte Auberginen mit Lamm, Safranreis mit brauner Kruste und Berge von feinstem Couscous in würziger Soße, gekrönt von Hammelhoden und Schafsaugen. Dazu würde vergorene Kamelmilch gereicht werden und frisch gebackenes, warmes Brot. Für alle, aber besonders für die Frauen und Kinder, die stets Gelüste nach Süßem hatten, sollte es außerdem Berge von duftenden Gazellenhörnchen, Mandelküchlein, karamellisierten Walnüssen und Honigplätzchen geben. Und natürlich würden sämtliche Platten stets reichlich gefüllt sein.
Als kleines Mädchen hatte sie einmal eine Puppe besessen, mit der sie recht launenhaft umgesprungen war. Hätten Puppen Herz und Verstand, überlegte Mirijam, sie würden sich vermutlich fühlen, wie sie sich heute fühlte: hin und her geschoben und ohne eigenen Willen. Als Braut stand es ihr nicht zu, Anweisungen zu geben oder Wünsche zu äußern, alles hatte nach Brauch und Überlieferung vor sich zu gehen. Und so übernahmen die Weberinnen, die Hennafrau, Cadidja und weitere Frauen das Kommando und bestimmten jedes sie betreffende Detail.
Von Haditha war sie am ganzen Körper enthaart und mit feinen Ölen gesalbt worden, so dass ihre Haut nun perlengleich schimmerte. Ihre Brauen und Wimpern hatte man mit Bleiglanz gefärbt und die Augen mit khol geschwärzt, damit sie größer wirkten. Hände und Füße trugen die glückbringenden, verschlungenen Arabesken und Blumenmuster aus Henna, mit denen seit altersher die Bräute der Berberfamilien geschmückt wurden. Jede Frau, die sich zum Haushalt zugehörig fühlte, jede noch so geringe Dienerin, hatte ebenfalls zur Feier des Tages Hände und Füße mit einem kunstvollen Muster aus Hennapaste verziert. Das sicherte ihnen
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