Purpur ist die Freiheit 01 - Das Leuchten der Purpurinseln
will Nachkommen zeugen. Das ist Teil von Allahs welt- und zeitumspannendem Plan der immerwährenden Erneuerung und Verjüngung. Geburt und Tod, der Rhythmus des Lebens, darum geht es. Allein aus diesem Grunde wünscht sich jeder Mann Söhne, die sein Erbe antreten, sein Andenken bewahren und ihn unsterblich machen.«
Abwesend nickte Mirijam. Wie sachlich Aisha über derlei Dinge sprach. Für sie selbst war dieser Bereich bei allem Bücherwissen terra incognita, Neuland. Außerdem konnte sie sich nur schwer von dem Gefühl befreien, diese Region ihres Körpers sei mit einem Fluch belastet. Natürlich sagte sie sich inzwischen, dass das nicht unbedingt so sein musste, in den Büchern stand jedenfalls nichts darüber, aber ihre Angst hielt sich hartnäckig. Auch deshalb hatte sie noch nie die speziellen Leiden von Frauen behandelt oder gar bei einer Geburt geholfen. Aisha hingegen wusste augenscheinlich alles darüber. Vielleicht konnte sie mit ihr sogar über diese Sache sprechen, ihr erzählen, was damals im Kerker geschehen war, und sie um eine Erklärung bitten.
Der Sherif hatte seinerzeit zwar versucht, ihr zu erläutern, was mit ihr angestellt worden war, aber wirklich verstanden hatte sie es nicht. Jetzt, Jahre später, sollte sie vielleicht endlich nachhaken. Der Abu sagte immer, Wissen weite die Brust, wohingegen Unwissenheit Atembeschwerden und Angst erzeuge.
Während sie um eine Entscheidung rang, hielt Mirijam den Blick gesenkt, und ihre Finger spielten mit dem Sand. Schließlich begann sie mit leiser Stimme. » Da gibt es etwas, was ich dich fragen wollte, Aisha. Eine Frau – du kennst sie nicht, sie ist nicht von hier –, also, diese Frau erzählte mir, jemand habe ihr früher, als sie noch ein Kind war, Gewalt angetan. Meine Freundin wusste nicht genau, was … Sie glaubte, es handelte sich dabei um eine Art Fluch. Allerdings war es nicht so, wie du es eben skizziert hast, ich meine, nicht dort, sondern …« Rotübergossen senkte Mirijam den Kopf. » Hier!«, flüsterte sie endlich und deutete mit dem Finger auf die Stelle der Zeichnung unterhalb der Kelchöffnung. Um nichts in der Welt hätte sie jetzt in Aishas Gesicht schauen können.
» Wo der Unrat herauskommt?«
Mirijam nickte. Scharf und hörbar sog Aisha die Luft zwischen den Zähnen ein, während sie gleichzeitig etwas murmelte und eine Abwehrgeste machte. Dann verzogen sich ihre Mundwinkel verächtlich nach unten.
» Mit einem Fluch hat das nichts zu tun! Jeder Mann, der so etwas tut, ist vom sheitan, vom Teufel besessen«, erklärte sie mit Bestimmtheit. » Der sheitan ist unendlich raffiniert in seinen Überredungskünsten und wahrhaft böse. Er redet dem Mann ein, er sei mächtig und dürfe sich über jede Regel hinwegsetzen. Wer aber dem Teufel keinen Widerstand leistet, sich vielmehr dessen Einflüsterungen hingibt, der wird seine widernatürlichen Phantasien an den Schwachen auslassen, und das sind nun einmal Frauen und Kinder. Das aber bezweckt der sheitan ja gerade! Unschuldige Kinder befinden sich, wie man weiß, außerhalb seiner Reichweite. Sie tragen keine Schuld, und sie können nichts für das, was man ihnen antut! Leider können sie aber auch nichts dagegen unternehmen, und so siegt der sheitan allzu oft. Dann müssen Kinder, aber auch Frauen Gewalt erleiden, und sie müssen damit leben. Als Einziges können sie versuchen, nicht ihr gesamtes Leben von dieser Teufelstat bestimmen zu lassen. Das wäre nämlich der Sieg für den Dämon über sie, dann hätte er sein Ziel erreicht!« Aishas Stimme klang zornig. Mehrmals warf sie Mirijam forschende Blicke zu. Die saß zusammengesunken im Sand und kämpfte mit den Tränen.
» Doch glaube mir«, fuhr Aisha fort, » eines ist so gewiss wie der Lauf von Sonne und Mond: Allah, der alles sieht, wird diesen Mann am Ende seiner Tage richten. Keine Untat, die der Allwissende nicht sühnt!«
Das Stöckchen, mit dem sie gezeichnet hatte, zerbrach in ihren Fingern. » Übrigens«, fuhr sie fort, während sie nach einem neuen suchte, » wenn der Mann der unreinen hinteren Öffnung des Mädchens Gewalt angetan hat, so ist das Häutchen in ihrer geheimen Grotte nicht zerstört. Die Frau gilt nach wie vor als unberührt und im Zustand der Keuschheit. Sag das deiner Freundin, es wird sie beruhigen.«
» Und es bedeutet nicht, dass sie verflucht ist?«
» Natürlich nicht! Wahrscheinlich ist der Mann verflucht oder vom sheitan besessen, keinesfalls aber das Mädchen.«
Mirijam fühlte sich
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