Purpur ist die Freiheit 01 - Das Leuchten der Purpurinseln
geändert. Aber nun, als Ehefrau eines Kapitäns, erweiterte sich zwangsläufig ihr Blickwinkel. Außerdem, so stellte sie plötzlich fest, hatte sie bis jetzt noch nie darüber nachgedacht, welch vielfältigen Gefahren Miguel bei jeder Reise ausgesetzt war. Bedeuteten seine Worte, dass ein Krieg bevorstand? Sie musste ihn unbedingt fragen, welche Ursachen hinter den Streitigkeiten zwischen König, Kaiser und Papst steckten.
Endlich bemerkte Miguel ihre Beunruhigung. Er setzte sich zu ihr aufs Bett und nahm ihre Hand. » Keine Sorge, querida, wir Alvaréz’ besitzen einen ausgeprägten Lebenswillen. Außerdem ist meine Santa Anna flink wie eine Schwalbe. Aber für dich waren jene Erlebnisse natürlich ein großes Unglück. Hast du je wieder etwas von deiner Schwester gehört?«
» Es heißt, sie sei am Fieber gestorben.«
Miguel nickte. Über der Nase furchten Zornesfalten seine Stirn. » Na ja, einmal im Harem verschwunden ist so gut wie tot. Du hast wirklich Glück im Unglück gehabt, mein Herz. Noch mehr, wenn man bedenkt, dass du letzten Endes an deinen klugen Ziehvater geraten bist.« Hingebungsvoll küsste er ihre Fingerspitzen, und der Grimm schwand aus seiner Miene. » Saõ Crístofero, der Schutzpatron aller Verlorenen und Verirrten, hat gnädig seine Hand über dich gehalten, sonst wärst du jetzt nicht hier. Hast du eigentlich niemals versucht, nach Hause zurückzugelangen?«
» Nein, aber das ist eine andere Geschichte.« Mirijam stockte. Sie zog das Laken ein Stück höher, so dass lediglich ihr Gesicht unbedeckt blieb. Ursprünglich hatte sie vorgehabt, ihm auch von der Sache im Kerker, der Vergewaltigung, zu erzählen, aber nun fehlte ihr dazu doch der Mut. Was, wenn Miguels Abscheu geweckt würde und er sich von ihr abwandte? Ein Kälteschauer rann über ihre Arme.
Miguel schaute sie erwartungsvoll an.
Das, was sie ihm unbedingt gestehen musste, die Sache mit ihrer jüdischen Abstammung, darüber hatte sie – außer einer flüchtigen Andeutung, als sie ihre Eltern erwähnt hatte – noch kein Wort verloren. » Da ist etwas«, begann sie leise, » das du unbedingt wissen musst. Es könnte sein, dass du … Vorhin habe ich nicht …« Erneut holte sie tief Luft. Dann sprudelte aus ihr hervor, was sie aus den Briefen vom Leben ihrer Mutter und über deren Flucht und was sie über den Advocaten wusste. In dieser gedrängten Version klang die Geschichte beinahe noch grausamer, als sie ohnehin schon war.
» Ich hätte dir das alles längst sagen müssen«, schluchzte sie. » Aber viele Jahre lang konnte ich mit niemandem außer dem Sherif darüber sprechen. Abu Alî denkt, jemand aus Antwerpen hätte die Korsaren angestiftet, Lucia und mich zu fangen und zu beseitigen. Er meint, dieser jemand kann nur der angebliche Onkel meiner Mutter gewesen sein. Wahrscheinlich hat er damit sogar recht. Und später, im bagno … Es war entsetzlich! Ich konnte nicht mehr sprechen, kein einziges Wort. Für viele Monate war ich stumm, verstehst du? Und noch etwas Wichtiges habe ich dir nicht gesagt.« Sie ächzte.
» Ruhig, Liebes, ganz ruhig. Hast du schon einmal überlegt, wer von eurem Tod profitieren könnte? Ich wette, dort muss man ansetzen.«
» Ja, ja, aber hör doch weiter: Mein Name ist überhaupt nicht Azîza! Ich heiße … Mein Name ist …« Das Weitere ging in Schluchzern unter.
» Beruhige dich, meine Blume. Nicht weinen, bitte, nicht weinen.«
Mitfühlend streichelte Miguel seine junge Frau und küsste ihre Tränen fort. Er murmelte allerlei tröstende Worte und drückte sie fest an die Brust, während er ihrem nur teilweise verständlichen Gestammel lauschte. Dabei wurde ihm vor allem eines ganz deutlich: Er war wie berauscht vom Duft seiner Frau. Unter seinen Zärtlichkeiten versiegten Mirijams Tränen allmählich.
Doch plötzlich sprang Miguel aus dem Bett und nahm seine Wanderung durch die Kajüte wieder auf. » Ha! Jetzt fällt mir wieder ein, was sich die Seeleute in Venedig und anderen Häfen über van de Meulen erzählen! Zinn, ja genau! Dieses Haus van de Meulen kauft anscheinend überall Zinn auf, sogar von den griechischen Inseln. Und man sagt – aber das ist möglicherweise nur Kneipengeschwätz, Seeleute sind üble Klatschmäuler! –, man sagt hinter vorgehaltener Hand, es verkauft es dem Meistbietenden, selbst wenn es der verfluchte Osmane ist!«
Verständnislos schaute Mirijam ihn an.
» Das verstehst du nicht, meine Schöne? Zinn ist ein Hauptbestandteil von Bronze und
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