Purpur ist die Freiheit 01 - Das Leuchten der Purpurinseln
Zwischen Lachen und Weinen tastete sie das Gesicht der Schwester ab. » Lass sehen, wo hast du dich verletzt?«
Lucia schwankte. Mit weit geöffneten Augen stand sie im brusthohen Wasser und schien nicht recht zu wissen, was mit ihr geschehen war.
» Sag, fehlt dir etwas?«
Langsam drehte Lucia den Kopf und sah Mirijam an. » Mein Kopf«, sagte sie schließlich und legte die Hand an die Schläfe. » Mein Kopf tut weh.«
» Aber du lebst, und das ist das Wichtigste. Als du ins Wasser gefallen bist, dachte ich schon … Ach, ich bin so froh!«
Riesenhaft ragte der Bug der Palomina neben ihnen auf. Das Schiff zerrte an seiner Ankerkette und drehte sich, es kam ihnen bedrohlich nahe. Mirijam spürte, wie der Sand unter ihren Füßen in Bewegung geriet, wie er nachgab und sie immer tiefer in den Boden einsank. Dabei ging ihr das Wasser sowieso schon bis zum Kinn. Jede Woge könnte sie fortspülen! Das Schiff bot keinen Schutz mehr, im Gegenteil, es wurde selbst zur Gefahr.
» Komm, wir gehen an Land, dort kannst du dich hinlegen. Ich führe dich.« Mirijam griff nach Lucias Hand. Nur fort von dem Schiff und auf festen Boden!
Neben ihnen trieb man die anderen Gefangenen durch ein Spalier von Piraten mit blakenden Fackeln ans Ufer. » Wollt ihr wohl gehen, ihr verfaulten nasrani, ihr Christenhunde und stinkenden Flussschiffer? Da geht’s lang!« Die Piraten schoben und prügelten die Gefangenen vorwärts. » Macht schon, ihr Feiglinge, ungläubiges Pack.« Im Strom der anderen quälten sich die beiden Mädchen durch das hohe Wasser. Mit einer Hand vor der Brust schützte Mirijam das Päckchen der Mutter, mit der anderen umklammerte sie Lucias Arm.
Mühsam durchfurchten sie das hohe Wasser, behindert von den langen Röcken, die sich um ihre Beine wickelten. Endlich jedoch wurde das Wasser flacher und das Vorwärtskommen leichter.
Überall, vor ihnen, hinter und neben ihnen strebten Männer dem Strand entgegen. Einige der Piraten schleppten Beutestücke mit sich, andere stützten ihre im Kampf verletzten Kumpane. Die gefangenen Matrosen und Soldaten der drei van-de-Meulen-Schiffe hatte man gefesselt, nachdem sie das Schiff verlassen hatten, und sie dabei so eng aneinandergebunden, dass, wenn einer stürzte, er unweigerlich seine Nachbarn mit unter Wasser riss. Immer wieder kam der Zug deshalb zum Stehen, doch die Korsaren zerrten die Männer wieder auf die Beine und jagten sie mit Gebrüll und Faustschlägen weiter voran durch die Wellen.
Auch die befreiten Rudersklaven wateten an Land. Es waren ausgemergelte Gestalten, soweit man das in dem flackernden Licht ausmachen konnte, und manche von ihnen waren derart geschwächt, dass sie gestützt werden mussten. Dennoch trugen alle ein Lachen auf dem Gesicht. Kein Wunder, dachte Mirijam, für sie war heute ein Freudentag, ihnen winkte die Freiheit.
Trotz ihrer Sorge um Lucia war Mirijam von dem wüsten Durcheinander wie gebannt. Einige der Piraten verhöhnten die gefangenen Soldaten und Seeleute und suchten sich dabei gegenseitig mit groben Flüchen und lautem Geschrei zu übertreffen. » Bei Allah, ihr feigen Säcke, habt wohl die Hosen voll? Los, oder sollen wir eure Mütter rufen, dass sie euch den Hintern putzen?« » Edle Herren, wollt Euch an Land bemühen. Dort erwartet Euch ein weiches Lager, ganz so eines, wie Ihr es uns bereitet habt.« » Jawohl«, grölte ein anderer, » und statt der gelbhaarigen Bettgenossinnen kriegt ihr Gesellschaft von Sandflöhen, die sind auch recht zutraulich!« Brüllendes Gelächter belohnte besonders originelle Beschimpfungen.
Andere schleppten Ballen und Kisten von der Santa Katarina an Land, zum Teil per Boot, der Großteil jedoch wurde auf dem Kopf durch das Wasser geschafft. Bereits auf See hatte man Teile der Ladung auf die ramponierte Palomina umgeladen, so dass das schwere Handelsschiff nun deutlich weniger Tiefgang als zuvor hatte und auch im Flachwasser ankern konnte.
Endlich war der Strand erreicht, und die Gefangenen wurden bis an den Fuß einer hohen Dünenkette getrieben. Mirijam zog die Schwester zu einer abseits gelegenen Stelle, von der aus sie alles überblicken konnten.
» Hier sind wir den Männern nicht im Weg«, sagte sie. Vor allem aber sollte niemand sie überrumpeln können oder Lucia erneut etwas antun. Vorsichtig tastete sie deren Kopf ab. Soweit sie sagen konnte, gab es nirgendwo eine offene Wunde, nur eine dicke Beule konnte sie fühlen.
» Willst du dich nicht hinlegen?« Als hätte sie Mirijams
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