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Purpur ist die Freiheit 01 - Das Leuchten der Purpurinseln

Purpur ist die Freiheit 01 - Das Leuchten der Purpurinseln

Titel: Purpur ist die Freiheit 01 - Das Leuchten der Purpurinseln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Cramer
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Zähne zwischen dem krausen Bartgestrüpp weiß blitzten. Er brüllte etwas, aber Mirijam konnte kein Wort verstehen. Lucias Lippen bewegten sich im tonlosen Gebet, und sie hielt die Augen geschlossen. Als die Mädchen auf seine Befehle nicht reagierten, zog der Pirat erneut das Schwert und trieb sie mit der flachen Klinge vor sich her aus der Kajüte heraus. Er dirigierte sie über den Gang, wo sie über den toten Zahlmeister steigen mussten, in einen Raum, in dem Proviantfässer lagerten. Dort hinein stieß er sie, schlug mit lautem Knall die Türe zu und legte den Riegel vor.
    In völliger Finsternis standen sie nahe beieinander und lauschten. Oben an Deck schien der Kampf weiterzugehen. Mirijam tastete nach der Schwester.
    » Mijnheer Vancleef«, wimmerte Lucia und drückte Mirijams Hand. » Hast du gesehen? Er liegt draußen im Gang. Ist er tot?«
    Mirijam nickte, dann flüsterte sie » ja«, als ihr einfiel, dass Lucia nichts sehen konnte. Ihre Knie zitterten. Vorsichtig löste sie ihre Hand aus Lucias schmerzhaftem Griff und ließ sich auf dem Boden nieder. » Er wollte uns verteidigen, doch dann hat ihn ein Schwerthieb getroffen«, erklärte sie. » Er hat etwas gesagt, bevor er starb, aber ich konnte es nicht verstehen.« Sie umschloss ihre Beine mit den Armen und senkte den Kopf auf die Knie. Seine letzten Worte, sie hatte seine letzten Worte nicht verstanden … Sie konnte an kaum etwas anderes denken. Die letzten Worte eines Sterbenden nicht zu verstehen kam ihr wie die schlimmste Achtlosigkeit vor, die man sich nur denken konnte. Erneut tastete sie nach der Schwester.
    Lucia stieß sie jedoch beiseite. » Ich muss zur Heiligen Jungfrau beten und um Rettung flehen. Hundertmal, man muss hundertmal beten, sonst gilt es nicht. Aber mein Rosenkranz ist fort. Hoffentlich wirkt es auch so. Mutter Gottes, Maria voller Gnaden, die du den Herrn geboren hast, beschütze mich. Heilige Mutter Gottes, erhöre mein Gebet …« Lucias Worte verebbten in einem gleichförmigen Singsang.
    Mirijam umfing erneut ihre Knie. Sie schaukelte vor und zurück, vor und zurück, vor und zurück, immer weiter. Gleichzeitig hörte sie auf das Gebrüll von oben und auf das Gepolter, auf die Kampfgeräusche, das Klatschen, wenn etwas ins Wasser fiel, und das Klirren der Schwerter. Und sie lauschte Lucias halblautem Gemurmel, mit dem die Schwester um Beistand flehte. Vielleicht sollte sie ebenfalls beten? Sie befühlte das Bündel in ihrem Mieder. Dort konnte es nicht verloren gehen. Zum ersten Mal war sie dankbar für dieses unbequeme Wäschestück. Nebenbei registrierte sie, dass ihr Kleid nach dem Blut des armen Zahlmeisters roch, das allmählich eintrocknete und hart wurde. Wenn sie doch nie einen Fuß auf dieses Schiff gesetzt hätten!

8
    In der warmen und sternenklaren Nacht gingen die Schiffe in einer geschützten Bucht vor Anker. Über Strickleitern und Taue mussten sie von Bord und an Land waten. Für die Seeleute stellte dies keine Schwierigkeit dar, die Soldaten aber kamen mit den schaukelnden Jakobsleitern nur schwer zurecht. Immer wieder geschah es, dass einer von ihnen ins Meer stürzte, andere hingen hilflos an den nassen Seilen und wurden schmerzhaft gegen den Schiffsrumpf geschleudert. Lucia weigerte sich, über die Bordwand zu klettern. Der bärtige Pirat mit der Wollmütze, der sie vor Stunden gefangen gesetzt hatte, überlegte nur einen Moment. Dann brüllte er einem seiner Komplizen unten im Wasser einen Befehl zu und stieß Lucia kurzerhand über Bord.
    » Hilfe!« Lucia versuchte verzweifelt, die Reling mit der Hand zu erwischen. Sie konnte sich jedoch nicht halten und stürzte hinab in die Tiefe. » Hilfe!« Im Fallen prallte ihr Kopf gegen die Planken des Schiffskörpers, und der Schrei erstarb. Während sich ihr Kleid aufblähte und die Arme leblos zur Seite fielen, versank sie im Wasser.
    » Nein!« Mirijam beobachtete entsetzt, was sich da vor ihren Augen abspielte. Rasch schwang sie sich über die Bordwand, packte die Stricke der Leiter und hangelte sich Hand über Hand und Sprosse für Sprosse abwärts. Die Hände krallten sich in die dicken Taue. Leiter und Schiff schaukelten. Als sie abwärtsschaute, um die Entfernung zur Wasseroberfläche einzuschätzen, sah sie, wie einer der Männer nach Lucia griff und ihren Kopf hochhielt. Sie kam zu sich, strampelte, hustete und spuckte.
    Hastig kletterte Mirijam vollends hinab, sprang ins Wasser und watete mit ausholenden Armbewegungen zu Lucia. » Du lebst!«

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