Purpur ist die Freiheit 01 - Das Leuchten der Purpurinseln
nach Blut, Erbrochenem und Fäkalien. Eine weitere Kanonenkugel schlug ganz in ihrer Nähe auf dem Deck ein und traf den hinteren Mast. Das Holz schien zu kreischen, bevor der Mast krachend barst und quer zum Deck aufschlug. Mehrere Matrosen wurden dabei über Bord geschleudert. Ihre Schreie übertönten das Gebrüll der Korsaren.
Endlich kam Mirijam zur Besinnung und rannte die Treppe hinunter zu ihrer Kajüte. Doch die Tür war verschlossen. Mirijam schlug mit den Fäusten dagegen. » Mach auf, Lucia!«
Lucia reagierte nicht. Mirijam legte das Ohr an die Tür. Nichts, kein Ton. » Aufmachen! Lucia, ich bin’s, Mirijam!« Wieder hämmerte sie gegen das Holz. Jetzt schien es, als würde innen etwas über den Boden geschoben, etwas Schweres. Hatte Lucia sich verbarrikadiert?
» Öffne doch! Schnell!«, rief Mirijam, als sie aus den Augenwinkeln eine Bewegung wahrnahm. Sie blickte nach oben.
Rote Gewänder flatterten im Wind, eine blutige Axt knallte gegen ein Krummschwert. Metall, das gegen Metall schlug, Schreie und Flüche, Kampfgetöse, etwas krachte, Stiefel polterten. Die Korsaren waren an Bord! Und doch, wieso kam es ihr bei all dem Lärm plötzlich so still vor? Mirijam lauschte.
Es war die Trommel, sie schwieg. Die Palomina hatte ihre Flucht aufgegeben. Mirijam starrte nach oben, woher die Kampfgeräusche kamen, und wollte ihren Augen nicht trauen. Dort, in dem engen Durchgang zur Stiege, kämpfte Vancleef und versperrte den Angreifern den Weg nach unten. Sie beobachtete, wie sein Arm vorschoss, wie er wieder und wieder zustieß, in weitem Bogen um sich hieb und mit seinem Säbel die Piraten abwehrte.
Plötzlich jedoch sah sie ein Schwert aufblitzen, es sauste hernieder und traf ihn am Hals. Langsam sank Vancleef auf die Knie. Jemand stieß ihm den Fuß vor die Brust, so dass er rücklings die enge Treppe hinunterstürzte. Vor ihren Füßen blieb er liegen.
» Mijnheer!«, schrie Mirijam entsetzt. Sie kniete neben dem Mann und nahm seinen Kopf in den Schoß. Der Zahlmeister stöhnte. » Bitte, bitte, Ihr dürft nicht sterben!«
Vancleef öffnete mühsam die Augen und flüsterte etwas. Hatte er Verräter gesagt?
» Bleibt bei uns, lasst uns nicht allein!«
Eine dünne Blutspur floss aus seinem Mundwinkel. Mirijam verstand seine Worte nicht und beugte sich zu ihm hinab.
» Was?«, fragte sie. » Mijnheer Vancleef, was sagt Ihr?«
Aus der Wunde am Hals schoss Blut hervor. Es spritzte über ihre Hände und sickerte in ihr Kleid, doch das kümmerte sie nicht. Offenbar wollte er etwas sagen, es schien wichtig zu sein. Mirijam hielt ihr Ohr an seinen Mund. Aber sie hörte nichts, spürte nicht einmal mehr den Hauch seines Atems. Als sie sich aufrichtete, fiel sein Kopf zur Seite. Tot! Mijnheer Vancleef war tot.
Ein bärtiger Pirat mit roter Wollmütze und gezücktem Schwert kam die Treppe herunter. Mit einem Satz sprang er über Mirijam und den Toten hinweg. » Ah!«, brüllte er und trat mit voller Wucht gegen die Kajütentür.
Mirijams Truhe hinter der Tür fiel polternd um, und der Inhalt ergoss sich über den Boden. Lucia flüchtete ans andere Ende der Kajüte und presste sich in die Ecke. Ihren Rosenkranz hielt sie fest mit beiden Händen umklammert, während sie laut schluchzte und betete: » Heilige Mutter Gottes, beschütze mich vor dem Bösen. Beschütze mich, ich flehe zu dir! Errette und beschütze mich …«
Der Pirat packte Mirijam am Arm, riss sie mit einem Ruck auf die Füße, so dass der Kopf des Zahlmeisters hart auf dem Boden aufschlug, und stieß sie in die Kajüte. Dann brüllte er etwas und deutete auf Lucia. Die hob schreiend die Hände und verbarg ihr Gesicht dahinter. Ihr Rosenkranz fiel herunter und verschwand in einer Ritze im Boden. Mirijam stolperte über ihre Reisetruhe und fiel auf die Knie. Mutters Briefe! Im Durcheinander ihres Reisegepäcks lag das schmale Lederbündel, ordentlich verschnürt, wie Gesa es ihr übergeben hatte. Hastig schnappte sie danach und schob es in ihr Mieder. Dann wurde sie schon weitergedrängt, neben Lucia.
» An Deck wird gekämpft«, flüsterte Mirijam ihr atemlos zu. » Sie haben das Schiff gekapert!«
Blitzschnell holte der Bärtige aus und schlug ihr mit der flachen Hand ins Gesicht. Seine schwarzen Augen funkelten böse. Er schaute sich in der Kammer um. Dass sich außer den beiden Mädchen niemand hier befand, schien ihn zufrieden zu stimmen. Er steckte sein Schwert in den Gürtel zurück, rieb sich die Hände und grinste, dass seine
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