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Purpur ist die Freiheit 01 - Das Leuchten der Purpurinseln

Purpur ist die Freiheit 01 - Das Leuchten der Purpurinseln

Titel: Purpur ist die Freiheit 01 - Das Leuchten der Purpurinseln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Cramer
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Menschen sprachen, jemand lachte, sie hörte es genau. Nein, sie war wohl noch nicht gestorben. Sie biss sich auf die Lippen, man gab ihr zu trinken. Unter ihren geschlossenen Augenlidern quollen Tränen hervor. Jemand sprach zu ihr und wusch sie, Hände machten sich an ihr zu schaffen, reinigten ihre Wunden, wickelten sie in eine kratzige Decke – willenlos ließ Mirijam alles mit sich geschehen. Am liebsten wäre sie gestorben. Erneut versank sie in einem diffusen Dämmer voll Schmerzen.
    » So, ja, so ist es gut«, hörte sie plötzlich von ferne eine heisere Stimme. » Alles wird wieder gut.« Erneut machte sich jemand an ihrem Rücken zu schaffen, und diesmal fuhr Mirijam entsetzt in die Höhe. Eine kräftige Hand drückte sie jedoch ins Stroh zurück. » Ruhig, Mädchen! Dir passiert nichts. War schwer genug, die Salbe zu beschaffen.«
    Augenblicklich gab Mirijam nach, als fiele sie wieder in den ohnmächtigen Schlaf. Die Salbe duftete nach Arnika, ein wohltuender und vertrauter Duft. Dazu kamen behutsame, tröstliche Berührungen und leise, beruhigende Worte. Wie gut die Salbe tat, sie kühlte und linderte die Schmerzen. Aber wohltuender noch wirkte die raue, gleichzeitig aber seltsam zärtliche Stimme. Es war, als könnte die Stimme ihre Qualen eindämmen. Und noch während die unsichtbaren Hände Verbände auf ihre Wunden auflegten, entspannte sie sich und schlief tatsächlich ein.
    Als Mirijam das nächste Mal erwachte, bemerkte sie als Erstes einen entsetzlichen Gestank aus menschlichem Unrat, verfaultem Stroh und Rattendreck. Sie hatte Durst. Mühsam richtete sie sich auf. Sie befand sich gemeinsam mit ein paar anderen Frauen in einem finsteren Loch. Ein buckliger Zwerg mit riesigem Kopf, in dem sie erst auf den zweiten Blick eine runzlige, alte Frau in zerlumpten Röcken erkannte, schlurfte zu ihr herüber. Sie reichte ihr einen Kanten Brot und einen Becher trübes Wasser. Mit einem schmutzigen Finger fischte sie einen Strohhalm heraus, bevor sie Mirijam zunickte.
    » Trink, aber langsam. Nicht, dass du dich übergeben musst. Ist schon genug Dreck hier drinnen.«
    Folgsam hob Mirijam den Becher an den Mund und nahm einen kleinen Schluck. Ob dies die Frau war, die sich um sie gekümmert hatte? Oder hatte sie nur geträumt?
    » Na, Kleine, das Gröbste ist nun wohl überstanden, he?« Die Zwergin stemmte die Arme in die breiten Hüften und verzog ihre Falten zu einem zahnlosen Lächeln.
    Mirijam öffnete den Mund, um sich für das Wasser zu bedanken, doch ihre Stimme gehorchte ihr nicht. Sie schluckte und räusperte sich, dann probierte sie es erneut. Immer noch nichts. Hilflos schaute sie umher und zuckte mit den Schultern.
    » Tja, Mutter Rosario mit dem weichen Herzen, so dankt’s dir das kleine Hürchen! Vielleicht wollte sie anstatt Salbe ganz was anderes hintendrauf?«
    Die anderen Frauen in der Zelle gackerten und stießen sich gegenseitig in die Seite. Sie beobachteten sie und schienen auf jede ihrer Regungen zu lauern. Mirijam schwieg. Unsicher sah sie zu den Frauen hinüber, die auf dem halb verrotteten Stroh am Boden hockten. Alle hatten sie strähnige, verfilzte Haare und dreckige Gesichter, und alle trugen schmutzstarrende Lumpen. Soweit Mirijam sehen konnte, verfügte keine der Frauen mehr über ein vollständiges Gebiss.
    » Hast du Hunger?«, fragte die Zwergin.
    Und wieder öffnete sie den Mund zu einer Antwort, doch wie zuvor kam auch diesmal kein Wort heraus. Sie strich über ihren Hals, dann räusperte sie sich, schluckte und versuchte es erneut. Nichts. Plötzlich fiel ihr ein, was geschehen war, und ihr Herzschlag setzte aus. Was hatte dieser widerliche Mann ihr angetan? Hatte er ihr auch die Zunge herausgerissen? Sie öffnete den Mund. Mit den Fingern beider Hände zugleich untersuchte sie Mund, Gaumen und Zähne, doch das war alles heil und ganz. Warum konnte sie dann nicht sprechen? Mirijam schlug die Hände vors Gesicht. Könnte sie nur wieder in ihren Traum eintauchen!
    » Wahrscheinlich möchte sie statt trocken Brot lieber kandierte Veilchen«, tönte es von den anderen Frauen herüber.
    Mirijam ließ die Hände sinken. Die vor ihr kauernde Zwergenfrau nickte ihr zu, und Mirijam biss von dem Brot ab.
    » Aber immer schön langsam, hörst du? Mehr gibt’s nämlich nicht.« Dann wandte sich die Alte zu den Frauen um. » Entweder versteht sie mich nicht, was ja sein kann, oder, na ja, oder sie schwatzt eben nicht ständig wie gewisse andere Weiber.« Meckerndes Gelächter war

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