Purpur ist die Freiheit 01 - Das Leuchten der Purpurinseln
ordnete sich gelassen, als habe alles seine Richtigkeit, in ihre Häftlingsreihe ein.
Mirijam wurde von den Piraten in die entgegengesetzte Richtung geschoben. Als sie zurückblickte, stand Lucia gleichmütig in der anderen Reihe, die Augen auf den Nacken des Vordermanns gerichtet, mit strähnigen Haaren, die ihr ins Gesicht fielen, und Händen, die wie nicht zu ihr gehörend an den Seiten herunterhingen.
» Lucia!«, schrie sie, doch die Schwester schien sie nicht zu hören.
Plötzlich traf Mirijam ein Peitschenhieb am Ohr, der sie ins Taumeln brachte. Einer der Mitgefangenen packte ihren Arm und zog sie wieder auf die Füße. Er sagte etwas, doch in ihrer Benommenheit konnte sie ihn nicht verstehen. Ihr war, als stecke ihr Kopf unter einer dichten Haube. Ehe sie sich’s versah, wurden allen Gefangenen eiserne Fußfesseln angelegt, durch die man Ketten zog. Immer sechs oder acht wurden auf diese Weise zusammengeschmiedet, je nach Länge der Kette. Auch Mirijam erhielt einen Ring um das Fußgelenk und kam an die Kette. Ein Kommando ertönte, und einer hinter dem anderen gehend, setzte sich der Zug in Bewegung.
» Wo ist Lucia?«, fragte Mirijam, als das taube Gefühl allmählich von ihr wich, und schaute sich suchend um. Sie stolperte, als sie versuchte, in die Höhe zu hüpfen, um über die Köpfe hinwegsehen zu können. Doch die schwere Fußkette hielt sie am Boden.
» Die Blonde? Dort, sie geht den Hügel hinauf. Wahrscheinlich ist sie für den Harem bestimmt«, sagte einer der Männer hinter ihr und wies auf eine bergan führende Gasse.
Als sich Mirijam umdrehte, sah sie gerade noch, wie Lucia, von mehreren Piraten flankiert, im Schatten der Häuser verschwand. Entsetzt schrie sie auf: » Lucia!« Die Schwester aber konnte sie schon längst nicht mehr hören.
Harem, hatte der Mann gesagt. Vor Schreck konnte Mirijam ihre Füße nicht mehr rühren. Der Zug kam ins Stocken. Die Kette zum Vordermann spannte sich, die Männer stolperten, von hinten wurde sie angerempelt, und alle gerieten ins Straucheln. » Los, weitergehen. Oder willst du noch einmal die Peitsche spüren?« Mirijam taumelte einen halben Schritt vorwärts, dann blieb sie erneut stehen.
» Nicht stehen bleiben, zum Henker! Los, weiter!« Von rückwärts drängten die Männer, die sich unter den Peitschenhieben der Gefangenenwärter duckten, und schoben Mirijam weiter. Sie stolperte, dann hatte sie sich gefangen, und der Zug kam langsam wieder in Bewegung.
Es ging steil bergan durch enge Gassen. Wie betäubt und blind für ihre Umgebung stolperte Mirijam voran, hauptsächlich damit beschäftigt, nicht über ihre eiserne Fußkette zu stürzen. Wo war dieser Harem, in den man die Schwester brachte, und wohin würde man sie selbst bringen?
14
In einer Festung aus grob behauenen Steinquadern wurden die Ketten gelöst und die Gefangenen durch ein Labyrinth dunkler Gänge getrieben. » Bagno«, hörte sie die Leute sagen, » Kerker«.
Mirijam landete in einer stinkenden Zelle, ließ sich auf das schimmelige Stroh fallen und vergrub das Gesicht in den Händen. Ihr Kopf schmerzte, und das Ohr brannte, ebenso die Füße. Sie hatte barfuß laufen müssen und sich an den Steinen verletzt. Doch das war es nicht allein. Vor allem hatte sie keinen Funken Kraft mehr. Sie konnte nicht mehr denken, und was sie sah, entsetzte sie. Umsonst versuchte sie, Ordnung in ihren Kopf zu bekommen. Sie fühlte lediglich, wie ohnmächtig und hilflos sie war. Mirijam vergrub das Gesicht noch ein wenig tiefer in ihren Armen. Wenn sie doch endlich aus diesem bösen Traum erwachen und die letzten Tage auslöschen könnte! Noch nie hatte sie eine solch tiefe Verzweiflung erlebt. Lucia war fort, ebenso Gesa und Vater, selbst Cornelisz – alle waren sie fort. Allein, dachte sie, sie war mutterseelenallein. Mirijam begann zu zittern – und endlich konnte sie weinen.
Wie lange sie sich der Angst und dem Schmerz überlassen hatte, wusste Mirijam nicht. Seltsamerweise fühlte sie sich aber gestärkt, als irgendwann die Tränen versiegten. Erneut begann sich das Karussell ihrer Gedanken zu drehen. Es musste einen Weg zu Lucia geben, und den galt es zu finden. Zugleich ahnte sie, dass diese Mauern, Gänge und Treppen, durch die sie gekommen war, dass diese eisernen Gitter und Absperrungen unüberwindlich waren.
Am nächsten Tag erschien der Übersetzer von der Palomina in Begleitung eines fetten Schreibers. Während der Schreiber Tinte und Feder bereitlegte, betrachtete der
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