Purpur ist die Freiheit 01 - Das Leuchten der Purpurinseln
verletzt und hinkten, andere so schwach, dass sie gestützt werden mussten. Ausnahmslos alle aber starrten sie vor Schmutz. Viele von ihnen schienen bereits eine lange Zeit im Dämmer des Kerkers verbracht zu haben, denn selbst bei dem an diesem Tag herrschenden fahlen Licht wurden sie geblendet und mussten ihre Augen schützen. Die Frauen in ihrer Reihe schlurften mit gesenkten Köpfen, ohne den Blick zu heben, durch die Gassen. Sicher hatten sie Schlimmes erlebt, überlegte Mirijam. Irgendwie schien es ihr, als sei ihre eigene Qual angesichts dieser vielen Verzweifelten ein wenig leichter zu tragen. Außerdem fühlte sie sich besser, je weiter das schreckliche Verlies hinter ihr lag.
Der Strom der Gefangenen wurde durch überdachte Marktstraßen getrieben, durch einen Wald von Zeltstangen, an denen Segeltuchplanen zum Schutz vor Sonne und Regen befestigt waren. Manche Straßen waren mit glatten Steinen gepflastert, andere bestanden lediglich aus festgetretener Erde, die sich im Regen in Matsch verwandelte.
Verschleierte arabische Frauen, von deren Gesichtern man höchstens die Augen sehen konnte, huschten an ihnen vorüber, und barfüßige Kinder tapsten durch die Pfützen. Rechts und links vom Weg reihten sich kleine Läden aneinander, in denen alles Mögliche – von Messingwaren über Zaumzeug und Packtaschen bis hin zu Früchten, Linsen und anderen Esswaren – feilgeboten wurde. Scharf roch es, nach Pfeffer, Schweiß und Ziegendung. Die Säcke mit Gewürzen und die Ballen bunter Stoffe erinnerten Mirijam an die Lagerhäuser zu Hause. Rasch wandte sie den Blick, sie wollte nicht daran denken.
Der Zug kam an Männern vorüber, die im Regenschatten einer Mauer hockten, um das Geschehen zu betrachten. Einer rief auf Spanisch: » Unserem Pascha gebührt Dank: Er hat es wieder einmal Sklaven regnen lassen!« Schallendes Gelächter belohnte seinen Witz.
Auf einem belebten Platz zwischen hohen Häusern kam der Zug zum Stehen. Vornehm gekleidete Händler mit weißen Turbanen trieben gefesselte Menschen vor sich her, Schwarze ebenso wie solche mit heller Haut. Andere priesen bereits lautstark ihre menschliche Ware an und bemühten sich gestenreich um die Aufmerksamkeit der Kauflustigen.
Eben erst war Mirijam bewusst geworden, welches Wort der Mann an der Mauer benutzt hatte: Sklaven, hatte er gesagt, der Pascha habe Sklaven regnen lassen. Dies war also ein Sklavenmarkt? Ach, hätte sie doch nur nie auf den Kapitän gehört! Was für schreckliche Folgen seine warnenden Worte hatten: Lucia war im Harem verschwunden, und sie sollte offenbar als Sklavin verkauft werden.
Ob es nicht doch eine Möglichkeit zur Flucht gab? Vielleicht, wenn sie die Frauen neben sich anstiften könnte, mit ihr davonzulaufen? Nach einem flüchtigen Blick auf deren Gesichter, die von nichts als Leid und Furcht sprachen, verwarf sie diesen Gedanken jedoch. Außerdem konnte sie selbst kaum gehen, an laufen war gar nicht zu denken.
Während die Wächter damit begannen, die Gefangenen inmitten der lärmenden Menschenmasse auf erhöhten Podesten aufzustellen, Männer und Frauen gesondert, begann sich vor Mirijams Augen plötzlich der Platz zu drehen, und die Gesichter verschwammen ineinander. Die Rufe der Sklavenhändler mischten sich mit dem Gelächter der Zuschauer, den Kaufgeboten und Klagerufen. Ihr war schwindlig. Nicht umfallen, befahl sie sich selbst, bloß kein Aufsehen erregen. Sie rieb sich die Stirn. Der Vater hatte das oft getan, wenn er vorzeitig ermüdete, bei ihr jedoch wirkte es nicht. Sie legte den Kopf in den Nacken und streckte ihr Gesicht den sanften, kalten Regentropfen entgegen. Vielleicht half das gegen die Benommenheit?
Plötzlich stand ein älterer Mann in feinem Gewand vor Mirijam, der ihr von oben bis unten über den Rücken strich. Vor Schreck schwankte sie ein wenig, rührte sich aber nicht.
» Edler Herr, dieses Kind ist tatsächlich ein Mädchen, ob Ihr es nun glauben mögt oder nicht, nur ein wenig dünn.« Wie von ferne hörte sie die Stimme des Sklavenhändlers. Er sprach Französisch, deshalb verstand sie jedes Wort.
» Und selbstverständlich ist sie noch Jungfrau, darauf könnt Ihr Euch verlassen, Sîdi. Nur hat der Allgewaltige in seiner Weisheit beschlossen, sie nicht bloß mit einer knabenhaften Statur zu versehen, er hat sie auch mit recht geringen Geistesgaben ausgestattet, wie mir erklärt wurde.«
Mirijam starrte auf ihre Füße.
» Ich mache Euch nichts vor, denn ich bin, Allah sei Dank, ein
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