Purpur ist die Freiheit 01 - Das Leuchten der Purpurinseln
auseinanderstrebten.
» Natürlich fragst du dich, was das für uns heißt. Das will ich dir sagen. Neben anderem bedeutet es Folgendes: Wenn der Osmane sein Reich nach Norden und Westen ausdehnt, dann wird der alte Handelsweg von den Gewürzküsten nach Antwerpen unpassierbar, zunächst für die Zeit des Krieges, vermutlich aber sogar endgültig. Hier befindet sich das Nadelöhr.« Er tippte mit dem Finger auf Konstantinopel. » Die Osmanen mitsamt ihren arabischen Nachbarn reißen zurzeit den Gewürzhandel aus Indien an sich, und selbst die Venezianer kommen dagegen nicht an, weder mit Diplomatie noch mit Waffengewalt. Gewinnt nun der Sultan diesen neuerlichen Krieg, dann ist hier Schluss, siehst du? Doch selbst wenn er ihn verliert, dann ist hier trotzdem Schluss, nämlich genau hier.«
Er wischte über den Rand der Karte, auf der neben der Küstenlinie des Mittelmeeres, der Levante und des arabischen Meeres das riesige Osmanische Reich bis an seine östlichen Grenzen gut zu erkennen war. » Und zwar wegen der Blockade weiter im Osten. Verstehst du jetzt?«
Cornelisz nickte, ohne etwas zu sagen. Aus Erfahrung wusste er, dass der Vater seine Antworten nur selten zur Kenntnis nahm.
» Und der erst vor wenigen Wochen in Aachen zum Kaiser gekrönte spanische König unternimmt nichts dagegen, nicht das Geringste!«, ereiferte sich der Handelsherr. » Stemmt sich Karl V. gegen diese Entwicklung? Nein! Nimmt er sie wenigstens ernst? Von wegen! Er hat nichts Besseres zu tun, als sich von Frankreich in diesen sinnlosen Feldzug in Oberitalien ziehen zu lassen, und lässt seine Tante als Statthalterin der Niederlande weitermachen! Ist er denn blind? Er übersieht offensichtlich, dass es die Kaufleute sind, Männer wie ich, die sein Reich ausmachen und festigen. Wir sind es, die ihm die Kassen füllen! Nicht Krieg bringt uns weiter, das tut nur der Handel!« Schnell hatte sich der Vater in Rage geredet. Mit langen Schritten stürmte er in der engen Kajüte auf und ab, so dass sein weiter, pelzgefütterter Umhang heftig um seine Beine schwang.
Cornelisz verstand nicht genau, was den Vater derart erhitzte. Seitdem er denken konnte, lockte ihn doch der Widerstand, das Wagnis, das kühne Spiel. War der eine Weg versperrt, so suchte und fand er einen anderen, der sich dazu meistens als der lukrativere herausstellte. Was also erregte ihn nun so sehr?
» Und was tut die Kaufmannschaft in Antwerpen, in ganz Flandern? Sie macht sich in die Hose vor Angst! Keiner von ihnen hat genügend Mumm in den Knochen, einzig die Amsterdamer und der aus Brügge!«
» Der aus Brügge«, damit war das Handelshaus van der Beurse, Willem van Langes großes Vorbild, gemeint, wusste Cornelisz.
» Ich sage dir«, fuhr der Vater fort, » jemand musste die Initiative ergreifen. Denn eines ist klar, es muss endlich eine neue Route her. Und zwar nicht über Land, sondern um Afrika herum, das ist die Zukunft! Nur damit kommen wir den Osmanen und ihren Glaubensbrüdern in den Rücken und können sie umgehen. Dann können sie blockieren, was und wo und so viel sie wollen, wir lassen uns nicht aufhalten!«
Van Lange schrie nun beinahe. » Seit nahezu zwanzig Jahren gibt es diese Route bereits, und wer hat sie entdeckt? Du weißt es, mein Sohn, denn dir habe ich es schon vor langem erklärt: Es waren portugiesische Seefahrer. Seit Jahren sitzen sie bereits an sämtlichen afrikanischen Küsten und in Goa, ihrer indischen Kolonie, und beherrschen die Transportwege über See. Und jetzt die wichtigste Frage: Warum, in Gottes Namen, nutzen wir sie nicht endlich auch? Warum haben wir uns einer Zusammenarbeit mit den Portugiesen bislang verschlossen? Oder warum haben wir weder eigene Schiffe für die Umrundung Afrikas ausgerüstet noch eine Flotte oder gar eine Companie zu diesem Zwecke gegründet? Weil der gerühmte Weitblick unserer Antwerpener Kaufleute höchstens bis zur Nasenspitze reicht und weil sie kleinmütig von den angeblich zu hohen Risiken lamentieren, sobald es darum geht, einmal etwas Neues zu wagen!«
Cornelisz beugte sich tiefer über die Karten auf Vaters Tisch. Er hasste laute Ausbrüche, außerdem kannte er diese Litanei bereits zur Genüge.
Van Lange goss Wein in einen Pokal und nahm einen großen Schluck. Das Schiff krängte und rollte, so dass sich Cornelisz unwillkürlich an der Tischkante festklammerte, während sein Vater breitbeinig dastand und sein Glas schwenkte.
» Portugiesische Seefahrer sind die geborenen Bezwinger der
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