Purpur ist die Freiheit 01 - Das Leuchten der Purpurinseln
hatten, dachte Cornelisz nicht zum ersten Mal, saß bei dem seinen stattdessen ein Wille. » Sei präzise, entschlossen und schnell und leite notwendige Schritte ohne Zögern ein,« so lautete einer von Vaters Lieblingssätzen. Für ihn waren das nichts als leere Worte, Vater jedoch lebte und handelte tatsächlich danach. Wie mochte sich das anfühlen, stets zu wissen, was man tun sollte?
Diese Reise war allerdings auch für ihn im guten Sinne aufregend, erhielt er doch Gelegenheit, die Farben des tobenden Meeres mit den Augen des Malers zu studieren. Grünblau, Graugrün, Blaugrau mit gelblichen und weißen Schlieren, Maserungen und Schleiern – Schattierungen, die er noch nie zuvor gesehen hatte! Trotz seiner Furcht vor dem unberechenbaren Ozean konnte er sich der Faszination dieses Farbenspiels nicht entziehen. Bei jeder Welle änderte es sich, manchmal spiegelte sich das helle Blau des Himmels in jedem Tropfen. Wo endete das Wasser, und wo begann der Himmel? Dort, wo er glaubte, den Horizont auszumachen, war die Trennung der Elemente in den verschiedenen Grautönen nicht erkennbar, alles bewegte sich und verschwamm.
Erneut wurde sein Blick von den rollenden, sich auftürmenden und schäumend brechenden Wellen angezogen. Diese Fülle an Nuancen, das war etwas anderes als die milden Farben der Schelde. Seine eigene, recht klägliche Pigmentauswahl würde niemals ausreichen, auch nur einen winzigen Ausschnitt des wilden Meeres zu bannen, speziell an Azurit, Lapislazuli und Malachit mangelte es ihm. Aber selbst wenn die Möglichkeiten seiner Palette ausreichten und er die Farbtöne gut träfe, ob er überhaupt imstande wäre, die Kraft des Wassers darzustellen? Dafür reichten seine Fähigkeiten wohl kaum aus. Wusste er denn zum Beispiel, wie er die Pinsel zu führen hatte, um die Bewegungen der Wogen nachzuahmen oder diesen Lichtschimmer, der sich durch die Wolken kämpfte?
» Cornelisz, ich muss mit dir reden.« Die Stimme des Vaters riss ihn aus seinen Betrachtungen. Cornelisz löste den Blick von den Wogen, hangelte sich über das Deck bis zur Achterkajüte und schloss die Tür hinter sich.
29
Willem van Lange stand am Tisch, einem massigen Möbel, das wie die beiden Kojen am Boden befestigt war, damit es sich bei schwerer See nicht selbstständig machen konnte. Die Platte war mit Listen und Kontorbüchern übersät und mit See- und Portolankarten, die Küstenlinien, geschützte Buchten und Häfen anzeigten. Obenauf lagen ein Quadrant und eine Sanduhr. Durch das bleiverglaste Fenster fiel fahles Licht auf den Tisch und brachte ein kupferblankes Astrolabium zum Glänzen. Beschäftigte sich Vater neuerdings mit Nautik?
Cornelisz betrachtete die Karten und hörte lediglich mit halbem Ohr dessen Erläuterungen zu. Er konnte in dem verwirrenden Gitternetz aus fein gezeichneten Linien zwar nichts Rechtes erkennen, dennoch versuchte er, darin wenigstens ein System oder ein Muster zu entdecken.
» … deshalb sollst du nun endlich erfahren, was es mit dieser besonderen Reise auf sich hat«, hörte er den Vater gerade sagen. » Es geht neben einigen Besonderheiten, namentlich den Absprachen mit van der Beurse, von denen ich später noch ausführlich berichten werde, besonders um die Handelswege. Darüber musst du unbedingt Bescheid wissen. Genau genommen steckt allerdings noch mehr dahinter, viel mehr sogar.«
Sein Vater sammelte sich. Mit einem Seitenblick vergewisserte er sich, dass Cornelisz zuhörte, bevor er bedeutungsvoll begann: » Wir stehen an einem Wendepunkt, mein Sohn, denn erstmals steht uns der Weg offen, ein wirklich großes und einflussreiches Handelshaus zu werden!« Er räusperte sich. » Ich komme ohne Umschweife gleich zur Hauptsache: Ein Großteil unseres Vermögens, eigentlich fast alles, was wir besitzen, steckt in den Wechseln, die ich auf den Osthandel von van der Beurse ausgestellt habe. Du erinnerst dich, da geht es um Pfeffer und Muskat. Aber, und das weiß ich aus sicherer Quelle«, fuhr er fort, » die Truppen Sultan Süleymans marschieren auf Belgrad zu, allen voran seine grausamen Janitscharen, die Elite des osmanischen Heeres. Was das bedeutet, ist ja wohl klar: Es wird Krieg geben.«
Der Kaufmann beugte sich vor und stützte die Hände auf die Karten. Seine Blicke prüften – wahrscheinlich zum hundertsten Mal – markierte Linien, Verbindungswege, die aus dem Fernen Osten kommend in Konstantinopel zusammentrafen, von wo sie sternförmig nach Westen und Norden
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