Purpur ist die Freiheit 01 - Das Leuchten der Purpurinseln
Navigationspunkte entlang der Küsten waren längst außer Sicht, die angepeilten Inseln hatte der Regen verschluckt, und weder mit dem Quadranten noch dem Astrolab konnte man die Sterne oder die Sonne orten. Wenn das so weiterging, trieben sie noch weit über den gesamten Ozean, bis hin zu den neuen spanischen Besitzungen, die dieser großmäulige Seefahrer Cristóvão Colombo entdeckt hatte.
Trotz gereffter Segel rollte und stampfte die Brigantine heftig. Zum Glück verstand wenigstens die Mannschaft ihr Handwerk, dachte Miguel und umklammerte das Ruder mit beiden Händen. Der Kapitän jedoch trug seinen Ruf als Schönwettersegler weiß Gott zurecht. Wenn sich da Palha herablassen würde, Miguels Karten zu befragen, könnte er ihm beweisen, dass sie den falschen Kurs angelegt hatten! Miguel selbst benötigte die Karten des osmanischen Karthographen Piri Reis, von denen er sich schon vor einiger Zeit heimlich Kopien hatte anfertigen lassen, nicht einmal unbedingt. Auch navigatorische Geräte dienten ihm meistens nur zur Bestätigung dessen, was er ohnehin wusste. Schon immer hatte er dieses Wissen über die Bewegungen der See und den Verlauf der Küsten im Blut gehabt. Er roch Land, wenn welches in Reichweite war.
Und, konnte er jetzt etwa welches riechen? Natürlich nicht, deshalb wusste er ja auch mit Sicherheit, dass da Palha mit seinem Westkurs falschlag. Allein die Drift verfrachtete sie viel zu schnell, als dass sie noch in Landnähe sein konnten. Das konnte ihr sicheres Verderben werden, denn für Monate auf See waren sie nicht ausgerüstet. Die paar Ziegen und Hühner an Bord reichten vielleicht für ein paar Wochen, aber niemals für länger, und das Wasser würde ebenfalls knapp werden.
Aber für Felipe da Palha in seinem italienischen Faltenhemd und der eleganten Schaube, diesem modischen, offenen Umhang mit Pelzbesatz, mit seinem affektierten Spazierstock und den bestickten Handschuhen, war es unter seiner Kapitänswürde, einmal getroffene Entscheidungen mit einem simplen Steuermann zu diskutieren. Stattdessen hielt er ihn nun bereits seit geschlagenen zwei Tagen mit irgendwelchem Kinderkram auf Trab, den jeder Hanswurst genauso gut hätte erledigen können.
In diesem Moment kam ein Brecher über Bord und riss Miguel fast von den Füßen. Er konnte sich jedoch halten, und auch die San Pietro , dieses kreuzbrave Schiff, tanzte kurz darauf bereits wieder wie ein Korken auf der schweren See.
Auch Cornelisz van Lange trotzte dem Wind. Mit beiden Händen hielt er sich an den Leinen fest, die wegen des Sturms an Deck gespannt worden waren, und blickte über das aufgewühlte Meer. Es hob und senkte sich wie ein riesiger Leib, und das Toben und Rollen der Wellen, ihre Kraft und die sprühende Gischt ängstigten und faszinierten ihn zugleich. War es denn wirklich notwendig gewesen, ausgerechnet jetzt, da die Herbststürme begannen, die Reise anzutreten? Aber Vater hatte darauf bestanden, noch in diesem Jahr auszulaufen, trotz des nahenden Winters, und von einmal gefassten Beschlüssen wich Willem van Lange ungern ab. Bestes Beispiel dafür war seine Haltung gegenüber dem Wunsch seines Sohnes, die Malkunst von Grund auf zu erlernen. Sein Sohn und Nachfolger – ein Maler? Unsinn, das kam nicht in Frage, punktum.
Obwohl es für Cornelisz nichts Wichtigeres gab als seine Malerei und obwohl ihn Fragen von Handel und Geschäft furchtbar langweilten, fand er es schwierig, Einwände gegen die Vorhaben seines Vaters zu finden oder gar sich gegen ihn durchzusetzen. Hier zeigte sich sein großes Problem: seine mangelnde Entschlusskraft. Wo andere Argumente sammeln, eine Überzeugung entwickeln und sich klar festlegen konnten, zögerte er. Für ihn existierten Gegensätze und Widersprüche nebeneinander, als handele es sich um gleichberechtigte Paare. Liebe und Angst, Sicherheit und Verletzlichkeit, Zuversicht und Zweifel – meistens schwankte er zwischen Unvereinbarem. Für seinen Vater war diese Zerrissenheit ein Zeichen von Schwäche, zumal er selbst sich immer rasch entscheiden konnte und seiner sicher war. Wie sollte er den Sohn verstehen? Und doch, trotz dessen Strenge und ihrer gegensätzlichen Lebensauffassung liebte Cornelisz den Vater und wollte ihm gefallen, das war schließlich ganz natürlich. Nur, warum hatte er dann immer auch ein wenig Angst vor ihm? Und lag es wirklich allein an seiner Jugend, wie der Vater behauptete, wenn er unsicher war? Er war doch längst kein Kind mehr, das hatte sogar sein
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