Purpur ist die Freiheit 02 - Die Perlen der Wueste
gemeinsam den Wert der Waren bestimmen und die Kosten der Karawane abrechnen zu müssen. Hussein mit seiner Eitelkeit und Rechthaberei, mit seiner Unfähigkeit, Listen und Aufstellungen selbst zu lesen – es würde unerfreulich werden.
Saïd schwang sich in den Sattel und zog den Gesichtsschleier hoch, bis nur ein schmaler Schlitz für die Augen blieb. Dann trabte er an die Spitze der Karawane.
*
Die Freudentriller der Frauen drangen durch die schwere Tür, obwohl sie zum Schutz vor dem Wind geschlossen war. Nurzahs Kopf fuhr hoch, und sie lauschte. Was verkündeten die Frauen? Etwa die Rückkehr der großen Karawane? Hatte Allah endlich ihre Gebete erhört?
Die Kranke auf ihrem Lager stöhnte. Ihre Züge hatten sich verändert, und es war, als spannte sich die Haut über die Knochen eines Totenschädels. Nurzah rückte die Öllampe zurecht, bevor sie Doudas rotfleckiges Gesicht sachte mit einem Tuch abtupfte.
Eigentlich kannte sie sich mit Krankheiten aus, aber was Douda anging, war sie ratlos. Seit mehreren Tagen, genauer, seitdem ihre Söhne verschwunden waren, lag Brahims Witwe von Krämpfen geschüttelt auf ihrem Lager. Gleich nach ihrem Zusammenbruch hatte Nurzah Doudas Körper eigenhändig nach Spuren eines Schlangenbisses abgesucht, jedoch ohne Ergebnis. Dabei atmete Douda schwer und zitterte, als schleiche das Gift einer Schlange durch ihre Adern. Hinzu kam, dass sich manchmal ihre Augen verdrehten, bis man nur noch das Weiße sah. Inzwischen wusste sich Nurzah keinen Rat mehr. Es war, als hätten böse Dschinn die Macht über die arme Frau übernommen.
Amina, die älteste Tochter der Kranken, kauerte am Fußende des Lagers und rückte erhitzte Ziegel unter der Decke zurecht. Safia, die jüngere Tochter, starrte tränenblind auf ihre Hände, die einen kleinen Räucherofen hielten. Morgens hatte sie darin würzige Hölzer und einen Rest Weihrauch verbrannt, um der Mutter das Atmen zu erleichtern, doch nun war er erkaltet.
Nurzah strich ihr kurz über das Haar, dann nahm sie angewärmte Tücher und legte sie um Doudas Fesseln und Waden. Sie musste ihre Sorgen vor den Mädchen verbergen, sonst verloren die beiden auch noch den letzten Rest Hoffnung. Dabei waren warme Decken das Einzige, womit sie Douda Gutes tun konnte, seitdem die Mutter des amghar behauptete, der Vorrat an Heilkräutern sei verschimmelt und könne nicht mehr verwendet werden.
Als Hussein die Führung von Familie, Stadt und Region übernahm, hatte seine Mutter sämtliche Schlüssel der Kasbah an sich genommen, so dass Nurzah diese Behauptung nicht überprüfen konnte. Ob sie jemanden zu den Nomadenfrauen jenseits der Oase schicken sollte? Die verfügten eigentlich immer über heilende Tees und Tinkturen.
Die Frauen der Kasbah mieden das Krankenzimmer, als fürchteten sie sich. Lediglich die Mutter des amghar kam täglich in Doudas Kammer und brachte ihr zu trinken. Sie kniete sogar neben dem Bett, hob Doudas Kopf an und flößte ihr eigenhändig süßen Tee ein, auch strich sie die Kissen der Kranken glatt, wirklich besorgt wirkte sie allerdings nicht. Aber sie war noch nie eine warmherzige Frau gewesen, dachte Nurzah, im Gegenteil. Außerdem kam sie stets verschleiert, so dass man in ihrem Gesicht nicht lesen konnte. Aus welchem Grund sie regelmäßig an Doudas Lager kam, wusste Nurzah nicht, die beiden Frauen sprachen kein Wort miteinander.
Nurzah sah auf, als Fatiha, ihre alte Dienerin, den Raum betrat. Die Alte nickte und lächelte ihr zu. » Baraka, die Karawane ist da! Hörst du die Frauen singen? Alle sind gesund, habe ich gehört, und die Kamele tragen schwer an ihren Lasten.«
Safia sprang auf. » Ich hole ihn!«, rief sie und rannte aus dem Raum. Die Frauen sahen ihr nach, ihre Blicke trafen sich. Sie wussten, wen Safia meinte.
*
Teile der Lehmmauern, die den weiten Karawanenplatz umschlossen, waren nach den Regengüssen der vergangenen Monate noch nicht wieder ausgebessert. Der alte r’baat aber, von dessen oberster Plattform in Gefahrenzeiten bewaffnete Wächter die Umgebung sicherten, behauptete seinen Platz in alter Stärke. Mit der Abenddämmerung hatte sich der kalte Wind gelegt. Doch obgleich er die Kamele und wertvollen Waren hier zu Füßen des Wehrturms in Sicherheit wusste, spürte Saïd ein flaues Gefühl im Magen, wie eine Vorahnung.
Die ersten Feuer flammten auf und erleuchteten den Sammelplatz, und immer mehr Menschen liefen zusammen. Sie brachten Futter für die Tiere und Tee und Wasser für die
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