Purpur ist die Freiheit 02 - Die Perlen der Wueste
Pietro entlang der hölzernen Markierung steuerte . Die waren wegen der wandernden Schlamm- und Sandbänke für Schiffe mit Tiefgang unverzichtbar, zeigten sie doch die jeweils aktuelle Fahrrinne an. Mit ihrer Hilfe würde Pacelli sicher durch den » Mund« von San Nicolo bis zur dogana, der Zollstation gelangen.
Wie jeder venezianische Kapitän wollte auch Pacelli bei der Heimkehr eine möglichst gute Figur abgeben, daher ignorierte er die lästigen, juckenden Pusteln, so gut es ging. Seine Nase vibrierte, seine Augen erfassten jeden Strudel, die Richtung jeder Welle und alle Besonderheiten auf dem Wasser. Die Fahrt in der Lagune erforderte wegen des Verkehrs und der wechselnden Wasserstände nicht nur Pacellis volle Aufmerksamkeit, sondern auch ein reibungsloses Zusammenspiel zwischen Ruderdeck und Steuermann. Das war eine Herausforderung nach seinem Herzen, und die ließ er sich von ein bisschen Juckreiz nicht schmälern.
Sarah fühlte sich wie berauscht angesichts der nahenden Stadt. Sie hatte es geschafft! Allerdings lagen Pacellis beiläufig hingeworfene Worte über Marino und sein Schiff, vor allem aber über eine mögliche Verlobung Marinos wie eine Klammer um ihr Herz. Doch sie hatte beschlossen, dass das nichts als ein Gerücht war. Darum musste sie sich nicht kümmern.
Yasmîna griff nach ihrer Hand. » Sieh nur, Lâlla«, flüsterte sie aufgeregt und deutete auf eine Landschaft aus Wasserglanz, Inselgrün und dem hellen Mauerwerk der Gebäude auf den Inseln, die an ihnen vorüberglitten. » Eine Fata Morgana!«
Genauso empfand auch Sarah den Anblick, unwirklich wie eine Luftspiegelung. Eine Stadt, die auf dem Wasser schwamm. Hinter Bäumen und hohen Mauern reckten sich hier das Dach eines Palastes und dort die Kuppeln und Türme einer Kirche in den pastelligen Abendhimmel. Alles leuchtete in der tiefstehenden Sonne, die sämtliche Inseln und Gärten, Gebäude und die Wasser der Lagune in flüssiges Gold zu tauchen schien. Und jenseits dieser Wasserstraße stiegen weitere Türme, kuppelgeschmückte Kirchen und glänzende Paläste aus dem Wasser, dicht an dicht, und kamen näher.
» San Marco«, rief Pacelli ihr zu und deutete voraus, » das Herz der Stadt.«
Breite Boote, beladen mit leeren Fruchtkörben und Stapeln von Gemüsekisten verließen die Stadt und steuerten die Inseln in der Lagune an. Andere wiederum drängten sich in der Gegenrichtung an der Einfahrt eines Kanals. Inmitten des immer dichter und schließlich zu einem unübersichtlichen Gewühl aus Lastkähnen, Gondeln, Ruder- und Fischerbooten anwachsenden Verkehrs strebte auch die San Pietro im letzten Tageslicht der dogana entgegen.
Venedigs Zollbehörde lag auf einer Landspitze, nur durch den Kanal getrennt vom Zentrum mit seinen großzügigen Plätzen und wunderschönen Palästen. Je näher sie herankamen, desto deutlicher erkannte Sarah bunte Mosaike an den Fassaden und Balkone mit filigranen Balustraden, die eher an Stickereien denn an Steinhauerarbeiten erinnerten, und zierliche Bogenfenster, Säulen und Maßwerk.
Während die San Pietro e Paolo anlegte und Laufplanken gelegt wurden und sich zwei Beamte bereit machten, an Bord zu kommen, fröstelte Sarah plötzlich.
» Ist dir kalt?«, fragte Yasmîna.
» Nein. Oder doch, aber eher von innen. «
Hinter der Anlegestelle öffnete sich ein breiter Kanal, in den weitere Kanäle mündeten. Offenbar handelte es sich dabei nicht um bloße Durchfahrtsstraßen; nach dem Unrat zu urteilen, den das Wasser herantrug, reinigten die Kanäle mit Hilfe der Gezeiten die Stadt vom Abfall. Ein praktisches Verfahren, das dem märchenhaften ersten Eindruck augenblicklich eine solide Realität entgegenstellte.
Auch hier galt der Rhythmus des Wassers, überlegte Sarah, denn die Lagune gehörte dem Meer. Immerhin lag jenseits des Lidos das Adriatische Meer, das Tor zu den Ozeanen, die Venedig mit den entlegensten Winkeln der Erde verbanden. Hier war ihr Vater gesegelt, diesen Anblick hatte er ebenfalls vor Augen gehabt. Erneut erschauerte sie.
Wortlos legte Yasmîna den Umhang um Sarahs Schultern, und dankbar lehnte sich die junge Frau für einen Moment in ihre Arme. So viel Neues lag vor ihr, da war es tröstlich, wenigstens die vertraute Yasmîna zur Seite zu haben.
» Seht dort, der Palazzo Ducale, der Sitz des Dogen, wo hinter gefälligen Arkaden die Fäden der Macht zusammenlaufen.« Pacelli wies auf ein gewaltiges Gebäude, zu dessen Füßen sich eine Unzahl von Booten und Gondeln drängte.
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