Purpur ist die Freiheit 02 - Die Perlen der Wueste
Während sich die Zollbeamten an Bord einen ersten Überblick verschafften und die Mannschaft entließen, stützte er sich neben Sarah auf die Reling. Sein Gesicht sah fleckig und geschwollen aus, und seine Augen hatten einen seltsam fiebrigen Glanz. » Dorthin werden wir übersetzen, mitten hinein ins Herz Venedigs.«
Sarah fühlte sich etwas schwindelig, und ihr Herz schlug einen unregelmäßigen Takt.
*
» Aha, also jetzt, da dir das Wasser bis zum Halse steht und die schöne Mitgift in Gefahr gerät, kommst du und erbittest meine Hilfe? Nun, Neffe, selbst auf die Gefahr hin, dass ich mich wiederhole, erkläre ich gern noch einmal: In diesem Fall kann ich nichts tun. Ich hatte dir gesagt, halte dich von den falschen Leuten fern, wenigstens bis zur Hochzeit! Und du wusstest sehr genau, wen ich damit meinte.«
Andrea Capello, venezianischer nobile im Rat der Zehn, konnte sich mit seinen fünfzig Jahren zwar über ein markantes Gesicht und immer noch dunkles Haar freuen, dennoch machte er insgesamt eine eher bemitleidenswerte Figur. Das lag zum einen an seinen dünnen und nach außen gekrümmten Beinen, besonders aber an dem auffälligen Buckel zwischen seinen Schultern. Diese beiden Makel zusammen, Folgen einer schweren Erkrankung in frühen Kinderjahren, riefen unweigerlich den Eindruck hervor, der plumpe Körper drücke zu schwer auf die krummen Waden und wölbe sie immer weiter nach außen. Wie sehr er unter seiner Missgestalt litt, verbarg er allerdings. Für ihn gab es weder Nähe noch Liebe oder gar Begehren, damit hatte er sich abgefunden. Achtung und Respekt vor seinem Rang konnte er erwarten, Zuneigung jedoch nicht.
Der Ratsherr stand vor einem prachtvoll verzierten Spiegel, zupfte die Spitzen seiner Prunkärmel unter dem Samt des Wamses hervor und beobachtete zugleich seinen Neffen im Spiegel. Er legte größten Wert auf ein tadelloses Erscheinungsbild, im Gegensatz zu seinem Besucher. Während der Jüngere sich auf eine Vitrine mit filigranen Intarsien stützte, ungeniert mit einem Messer seine Fingernägel reinigte und dabei aussah, als hätte er die letzten Nächte im durchnässten Stroh einer Hafenschenke zugebracht, wirkte der Ältere gepflegt wie immer.
Marino Capello hob den Kopf. » Hast du etwas an Salvatore Loredan und Anselmo Ziani auszusetzen?«, fragte er missmutig. » Sie entstammen den besten Familien!«
Andrea Capello antwortete nicht gleich. Er korrigierte den Sitz der schweren, goldenen Kette, die ihm von einer Schulter zur anderen reichte und ihn als Patrizier auswies.
» Nun, das schon, aber man sollte nicht vergessen, dass gegen einen von ihnen vermutlich ein Verfahren wegen Sodomie angestrengt wird«, entgegnete er schließlich. Er fixierte seinen Neffen im Spiegel, dann endlich drehte er sich zu ihm um. » Du scheinst vergessen zu haben, mein lieber Marino, dass er erkannt wurde, just, als er dabei war, den toten Knaben im Kanal zu versenken«, sagte er. Unwillkürlich schüttelte er sich und trat einen Schritt zurück. » Eines jedenfalls solltest selbst du wissen: Nicht nur Loredan, sondern auch jeder Mann seiner Umgebung wird im Rahmen dieser Untersuchung überprüft werden. Kein Wunder, dass deine Braut derzeit nicht mit dir zusammen gesehen werden möchte. Und du weißt, nicht einmal ich kann dir helfen. Das erklärte Ziel des Rates ist eindeutig: Keinerlei Ausnahmen beim Verdacht auf widernatürliche Unzucht, wen auch immer es betreffen mag!« Damit schien das Thema für ihn erledigt zu sein.
Dabei wusste niemand außer ihm, wie schwer ihm seine strenge Haltung fiel. Alles, was Marino betraf, bewegte ihn tiefer, als gut für ihn war. Doch ihm waren tatsächlich die Hände gebunden. Seitdem für Heiler und Ärzte eine Meldepflicht für alle Fälle von Analverkehr bestand, musste jeder Verdacht bei den zuständigen Behörden angezeigt werden. Die Aufsichtsbehörden wiederum waren aufgrund der Gesetze gezwungen, Härte zu zeigen, selbst gegen hochgestellte Persönlichkeiten. Dabei ging es natürlich nicht um den Schutz der Betroffenen, schon gar nicht, wenn es sich um Kinderprostituierte handelte, von denen es hier nur so wimmelte. Ein Kind mehr oder weniger – wen scherte das in einer Stadt, in der etliche Bordelle sogar separate Zugänge zum Wasser hatten, um Neugeborene von Prostituierten, die niemand gewollt hatte, unauffällig entsorgen zu können? Die Perversion an sich sollte unterbunden werden, da man in Regierungskreisen Sorge hatte, die widernatürliche Unzucht
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