Purpur ist die Freiheit 02 - Die Perlen der Wueste
also! Beeilt Euch, und viel Glück!«
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Glück konnte sie wahrlich gut gebrauchen, schoss es Sarah durch den Kopf. Das Boot tanzte auf den Wellen, und sie musste sich am Rand festhalten. In Kürze würde die Fähre zu Füßen des riesigen Dogenpalastes, von dem ihr Kapitän Pacelli erzählt hatte, anlegen, und dann waren Yasmîna und sie auf sich gestellt. Noch einmal drehte sie sich um, um einen Blick auf die San Pietro zu werfen. Doch hinter der kantigen Silhouette der Zollstation waren nur noch die Masten des Schiffes zu erkennen.
Je näher ihr Fährboot der Mole kam, desto weniger konnte Sarah ihre Augen von dem Trubel auf der Uferpromenade lösen, dabei flatterte ihr Magen vor lauter Aufregung. Bald war sie am Ziel. Nur wollte ihr die Bemerkung des Kapitäns über Marinos angebliche Verlobung nicht aus dem Sinn gehen. Was sollte sie davon halten, und was davon, dass venezianische Edelleute ausschließlich venezianische Adelsfrauen heirateten, wie Pacelli betont hatte? Als Yasmîna haltsuchend nach ihrer Hand griff, schloss sie dankbar ihre Finger um die des Mädchens. H and in H and standen sie an Deck der Fähre und blickten nach vorn.
Musik erklang, und die Menschen an Land schienen zu tanzen. Sie trieben bald hierin, dann dorthin, wogten quer über den Platz und verschwanden in den Gassen, aus denen andere Leute drangen, die nun ebenfalls über den Platz fluteten. Schwindelig konnte einem bei dem Anblick werden. Im Licht der Fackeln flanierten Männer in seriösem Schwarz neben jungen Burschen in farbenprächtigen Seidengewändern mit tief geschlitzten Ärmeln, die das Futter aus andersfarbigen Stoffen zur Geltung brachten. Geistliche im scharlachroten Ornat und fremdartig aussehende Seeleute überquerten den Platz, dazu sah man überall Damen in kostbar bestickten Kleidern mit hoher Taille, tiefem Ausschnitt und federgeschmückten Halbmasken vor dem Gesicht. Sie wurden begleitet von Herren in pelzverbrämten Umhängen, engen Beinkleidern und wadenhohen Stiefeln.
Fest hielt sie Yasmînas Arm umklammert, die andere Hand krampfte sich um den alten Lederbeutel, in dem sich ihre Perlen befanden. Yasmîna deutete nach vorn. » Dort, auf der Säule, der Löwe mit den Flügeln.« Sie schüttelte den Kopf. » Gibt es Löwen, die sich in die Lüfte erheben können wie Adler? Allahs Welt ist wahrhaftig reich an Wundern.«
» Dieser Löwe ist der Schutzpatron von Venedig, er soll an die Stärke der Stadt erinnern.«
» Ein gris-gris für eine ganze Stadt? Al hamdullillah. Und was wird nun, Lâlla?«, fragte die Dienerin.
Sarah zuckte mit den Schultern. Sie hatte es bis nach Venedig geschafft, sie konnte stolz auf sich sein. So hatte sie sich ihre Ankunft in Marinos Heimat allerdings nicht vorgestellt. Hatte sie sich denn überhaupt etwas vorgestellt, außer seinen starken Armen, die sie voller Liebe umfangen würden, und seinem Mund auf ihren Lippen?
» Der Kapitän sagte, der Palazzo Capello liege an einem Seitenkanal des Canale di Cannaregio, wo immer das auch sein mag. Wir fragen uns einfach durch, und dann sehen wir weiter.« Ihre Antwort klang zuversichtlicher, als sie sich fühlte.
» Müssen wir diese seltsamen Boote benutzen? Sie sehen nicht besonders stabil aus.« Yasmîna deutete auf eine der Gondeln, die soeben an ihnen vorüberglitt. Eine schöne junge Frau hatte darin Platz genommen, die ein Kind auf dem Arm trug.
In diesem Augenblick verspürte Sarah ein leichtes Flattern im Bauch, ein Wehen wie von einem zarten Seidenfächer. Das Kind, es bewegte sich in ihr! Sie ließ den Lederbeutel mit den Perlen fallen, löste ihre Hand aus Yasmînas und blickte auf ihre verschränkten Hände, die sich wie von selbst schützend vor dem Leib zusammengefunden hatten. Mit einem Seufzer sank sie auf den dreckigen Planken des Fährbootes zusammen.
*
Von außen gesehen gab es keinen Grund für Abschiedsgedanken, weder bereitete der Neffe eine gefährliche Reise vor, noch plagte ihn selbst eine Krankheit. Marino sah zwar wüst aus mit seinen blutunterlaufenen Augen, schwarzen Bartstoppeln und strähnigen Haaren, auch umgab ihn der schale Geruch nach Schweiß, billiger Liebe und schlechtem Wein, davon abgesehen machte er jedoch selbst in diesem Zustand eine gute Figur. Mit seinen breiten Schultern, dem festen Kinn und der schmalen, geraden Nase sah er aus wie ein junger Apoll.
Vielleicht konnte nur er, der besonders empfindsame Krüppel, hinter Marinos Fassade blicken. Was er dort zu sehen bekam, konnte ihm
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