Purpur ist die Freiheit 02 - Die Perlen der Wueste
glaubt nach wie vor, Sarah zieht es nach Venedig.«
Medern wusste, mit » Sie« war die Señora gemeint. » Wenn wir nur auslaufen könnten!«, sprach der Kapitän weiter. » Aber welchen Sinn hätte das, wenn wir, anstatt nach Venedig zu kommen, diesen gottverdammten Piraten in die Hände fielen? Gleichzeitig käme womöglich die Geldforderung … Ach, es ist zum Verzweifeln!«
Seither ging der Kapitän zwar täglich zum Hafen, betrat aber weder das Schiff noch erteilte er irgendwelche Befehle, ja, kaum, dass er überhaupt einmal mit seinen Leuten redete.
Mederns Blick blieb an Miguels gesenktem Kopf hängen.
Er wusste nicht mehr, was er denken sollte. Sarah, in der Hand von Piraten? Auf dem Weg zu einem Sklavenmarkt? Oder hatte die Mutter recht, und Sarah reiste diesem Windhund von venezianischem Kapitän hinterher?
Falls dem so war, wohlgemerkt, falls, warum dann den Sultan nicht um Hilfe angehen? Zumindest in den Regionen, die dem südlichen Reich zuzuordnen waren, konnte er die Suche doch unterstützen? Bisher hatte Sultan Muhammad jedenfalls nichts gegen die Seeräuber unternommen, also sollte sich der Kapitän aufraffen und persönlich nach Taroudant reisen. Das wäre erfolgversprechender, als einen Boten zu entsenden, und viel sinnvoller, als weiterhin nichts zu tun und zu bangen. Am Sultanshof fand sich vielleicht auch jemand, der Rat wusste, wie und wo man notfalls im Norden suchen sollte.
In der Tat musste unbedingt etwas gegen diese Korsarenplage unternommen werden, und zwar schnellstens, nicht allein wegen Miguel und Sarah. War das aber nicht möglich, so konnte man dem Kapitän doch wenigstens einen Kundschafter- und Soldatentrupp zur Verfügung stellen? Eine solche Bitte konnte Sultan Muhammad eigentlich nicht ausschlagen.
Medern öffnete bereits den Mund, als sich Miguel zu seinem alten Kontoristen umdrehte. Als habe er Mederns Gedanken gelesen, sagte er: » Und wenn ich selbst nach Taroudant reite und mir Kundschafter des Sultans erbitte? Sie besitzen nicht nur die Autorität, sondern auch die notwendigen Kenntnisse.« Er stöhnte.
Beim Anblick der Fischerboote im Hafen kam Medern ein weiterer Gedanke. Er setzte ein Schreiben an den Barbareskenführer von Bou Regreg auf und entsandte einen der Fischer, die in seinem speziellen Sold standen, in jenen berüchtigten Hafen im Norden, der den Korsaren als Unterschlupf diente.
Medern wusste seit langem, dieser Fischer verkehrte mit den Seeräubern, vermutlich hatte er sie sogar gelegentlich mit Informationen über lohnende Schiffsladungen versorgt. Seitdem er jedoch Mederns Brot aß, hatte er auch ihn mehrfach vor bevorstehenden Raubzügen gewarnt und hielt sich auf diese Weise beide Seiten warm. In dem Schreiben an die Korsaren setzte Medern eine ordentliche Belohnung für Sarahs unversehrte Heimkehr aus.
Nicht, dass er sich viel davon versprach, aber man sollte doch nichts unversucht lassen.
Mirijam rückte die Lampe zurecht, sodass Licht auf die alten Briefe ihrer Mutter auf dem Tisch fiel. Schon lange hatte sie diese vergilbten Hefte nicht mehr hervorgeholt, heute aber erhoffte sie sich Trost von ihnen. In ihren Augen brannten ungeweinte Tränen.
Früh war ihre arme Mutter gestorben und hatte ihre geliebte Mirijam alleinlassen müssen. Schon als Kind hatte ihre Mutter unendliches Leid, das über die mütterliche Familie gekommen war, erlebt. Die Flucht aus Granada, Vertreibung und Tod hatten das gesamte Dasein ihrer Mutter geprägt. Hatte sie danach dennoch Vertrauen zum Leben entwickeln können? Ja, dachte Mirijam, und war sich dessen ganz sicher. Sogar Glück hatte ihre Mutter empfunden, davon sprach besonders das erste ihrer Schreiben.
Auch die letzte Mahnung ihres Ziehvaters Abu Alîs kam ihr in den Sinn: » Man muss lernen, unabänderlichen Dingen ihren Lauf zu lassen.« Auf dem Sterbebett hatte er ihr diese Worte hinterlassen. Damals hatte sie die Weisheit seines Ratschlags nicht verstanden. Sie hatte im Gegenteil – und zwar fast bis zum heutigen Tag – am liebsten alles selbst in die Hand genommen, ob es sich dabei um ihre Geschäfte oder um ihre Familie handelte. Natürlich tat sie das in bester Absicht, immer uneigennützig und voller Liebe. Sie wusste, was Miguel und Sarah guttat oder wie man mit Energie und klaren Vorstellungen die gesteckten Ziele erreichte. Miguel hatte sich damit längst arrangiert, zumal es seinen Alltag enorm erleichterte. » Meine Lotsin«, nannte er sie manchmal und lachte gutmütig. Sarah jedoch
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