Purpur ist die Freiheit 02 - Die Perlen der Wueste
zusammengezuckt. Tagelang schien der Boden unter ihren Füßen brüchig, die Zukunft unsicher und ihr Entschluss zumindest teilweise fragwürdig. Erst als sie erkannte, dass Emmanueles Gassenkinder in der Nähe des Hauses herumlungerten und das Viertel durchstreiften, beruhigte sie sich endlich ein wenig. Unauffällig ließ sie ihnen Essen zukommen, viel mehr konnte sie nicht tun.
Doch nun wich allmählich das Gefühl der Lähmung. Hatten sie es nicht geschafft, dieser ominösen Bedrohung zu entkommen? Immerhin befanden sie sich an Bord des Schiffes, und sobald es die Lagune verlassen hatte, galt allein das Wort des Kapitäns und nicht mehr das irgendwelcher nobili. Sie waren in Sicherheit.
Dennoch liefen Sarah die Tränen über das Gesicht. Sie konnte doch froh sein, warum empfand sie sie dann nicht, diese Sicherheit? Warum spürte sie stattdessen vage so etwas wie einen Verlust? Besser konnte sie nicht benennen, wie sie sich fühlte, und das verstärkte ihre Beunruhigung noch.
Sarah trocknete ihre Tränen und suchte sich einen Platz im Heck. Von hier aus würde sie einen letzten Blick auf die Stadt werfen und gleichzeitig beobachten, ob ihnen nicht doch ein schnelles Boot folgte. Noch gestern hatte Pacelli behauptet, in der Umgebung des Hauses könne er Schwefel riechen … Das war natürlich Unsinn, dennoch hatte sie mit fliegenden Händen ihre restliche Habe verstaut, damit sie heute Morgen in aller Herrgottsfrühe ablegen konnten.
Ging ihr etwa der Abschied von Venedig nahe? Gewiss, sie war zauberhaft schön, diese Stadt, die auf dem Wasser zu schwimmen und sich nun allmählich im Dunst aufzulösen schien, und doch hatte sie hier die größte Enttäuschung erlebt und die schlimmste Entwürdigung. Venedig war ohne Erbarmen, das sagte auch Rebecca. » Diese Stadt schlägt entweder tiefe Wunden oder schenkt höchstes Glück, irgendetwas dazwischen erlebt man nicht in ihren Mauern.«
Mit welchen Hoffnungen sie seinerzeit die Türme und Kuppeln dieser Stadt angestaunt hatte. Dann jedoch hatte ihr Leben eine Richtung genommen, die aus ihr einen anderen Menschen gemacht hatte. Und plötzlich verstand sie, was sie verloren hatte und in Venedig zurückließ: Träume und Illusionen.
Aber diese Stadt hatte sie gleichzeitig gelehrt, sich selbst zu vertrauen. Noch dazu hatte sie ihr gute Freunde geschenkt, zuverlässige und hilfsbereite Menschen, die nun ebenfalls zurückblieben. Sarah war ihnen zutiefst dankbar, sie wusste, dass sie dank dieser Freunde noch im Unglück großes Glück gehabt hatte.
Von Jacopo und von Rebecca und ihren Töchtern hatte sie sich bereits gestern verabschiedet, heute begingen die jüdischen Familien den Shabbat und verließen daher ihr Viertel nicht. Auch Emmanuele und Filippo hatte sie schon vor Tagen, nachdem sie letzte Absprachen getroffen hatten, unter Tränen » Addio« gesagt, aber sicher standen die beiden irgendwo auf der fondamenta und beobachteten, wie sich die San Pietro e Paolo entfernte. Ob sie sie jemals wiedersehen würde? Auch die Näherinnen, die ihre feinen Perlenarbeiten zu würdigen wussten, und sogar einige der Kundinnen konnte sie auf ihrer persönlichen Habenseite, wie Jacopo es nannte, verzeichnen.
Auf der anderen Seite war da dieser höchst suspekte Andrea Capello, aus diesem Mann wurde sie nicht schlau. Filippo hatte sie einmal auf ihn aufmerksam gemacht. Erst hatte er nach ihr gesucht und Erkundigungen eingeholt, dann blieb er wochenlang verschwunden, so dass sie ihn schließlich vergaß. Plötzlich aber war sie ihm mehrfach begegnet, einmal sogar in einer der Gassen in der Nähe des Hauses.
Eines Abends, genauer gesagt vor drei Tagen, als sie gerade die Treppe zur Küche hinunterlief, hatte er plötzlich in der offenen Tür gestanden. Er trug eine Maske und einen schwarzseidenen Umhang, der seinen Buckel nur unzureichend kaschierte. Sowohl Sarah als auch Kapitän Pacelli hatten ihn auf den ersten Blick erkannt. Instinktiv hatte sie sich rasch ein paar Stufen zurückgezogen, um ungesehen zu bleiben.
Pacelli hatte sich angesichts des unerwarteten Besuchers aus dem Sessel erhoben und nach seinem Messer gegriffen, doch bevor er den Mund öffnen konnte, hob der Bucklige die Hand.
» Verzeiht mein formloses Eindringen. Wir kennen uns nicht, Signore, und unter den gegebenen Umständen ist es mir lieb, wenn es dabei bleibt. Mein Gewissen allerdings befiehlt mir, Euch dennoch eine Mitteilung zu machen, Euren Hausgast betreffend. Genau genommen handelt es sich um eine
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