Purpur ist die Freiheit 02 - Die Perlen der Wueste
Azîza trat mit einem Schaffell und einer Decke über dem Arm in den Lichtschein des Feuers. » Für später, die Nacht wird frisch werden.«
» Du bist sehr freundlich.«
Azîza nickte nur. Obwohl die Ankunft der beiden Frauen großes Erstaunen ausgelöst hatte und in ihren Augen zahllose Fragen brannten, hielt sich das Mädchen zurück. Sie war gut erzogen, diese bint sa’ad. Wie ihr Bruder enthielt auch sie sich überflüssiger Worte und kümmerte sich stattdessen um das Wohlergehen der Gäste.
Hier, weit entfernt vom Meer, war es jetzt im Sommer untertags viel heißer, als Sarah sich vorgestellt hatte. Auch deshalb waren sie bisher bei Sonnenuntergang aufgebrochen, hatten die Nachtstunden genutzt und am Tag geruht. Doch auch die Nächte waren anders als gedacht. Kurz vor Morgengrauen sank eine Kälte vom Sternenhimmel herab, die das Gehen, aber auch das Innehalten fast unmöglich machte. Das hatten sie am eigenen Leib erfahren.
Vor vier Nächten waren sie aufgebrochen, heimlich, als alle im Haus schliefen. Sarah blinzelte ein paar Tränen fort und wischte über die Augen. Sie seufzte. Niemand wusste von ihrer Flucht, nur Yasmîna hatte ihre Vorbereitungen bemerkt. Sie hatte dafür gesorgt, dass sie genügend Goldstücke einpackte, und zuletzt hatte sie sogar darauf bestanden, sie zu begleiten. Sarah schluckte, doch der Kloß im Hals wollte nicht verschwinden.
Ihr Vater war erst vor wenigen Tagen zurückgekehrt. Diesmal hatte er ihr nicht geholfen . Er nahm sie zwar in die Arme, um sie zu trösten, redete aber nur davon, dass die Zeit schon alles richten werde. Und ihre Mutter? Warum verstand sie sie nicht? Warum konnte sie ihre Sehnsucht wenn schon nicht nachfühlen, so doch wenigstens akzeptieren? Ihre Vorstellung von Venedig war geprägt von Ablehnung und Misstrauen. Sie behauptete, alle Venezianer seien berechnend und nur auf ihren Vorteil aus. Natürlich sagte sie das, um Marino schlechtzumachen. Dabei hing sie, Sarah, doch keinen mädchenhaften Illusionen an, da irrte sich ihre Mutter. Es ging nicht um Träume oder Luftschlösser, es ging um ihre Zukunft, um ihr Leben!
Unvermittelt begann sie zu zittern. Sarah biss die Zähne aufeinander und verschränkte die Arme vor der Brust. Sie hatte sich nun einmal entschieden. Über den Kummer, den sie den Eltern bereitete, wollte sie nicht nachdenken. Ein paar knappe Zeilen hatte sie ihnen hinterlassen, in denen sie sich für all die Liebe bedankte, die sie von ihnen erfahren hatte, und erklärte, von nun an würde sie ihr Leben in die eigenen Hände nehmen.
Trotz der Ruhe untertags fühlte sie sich immer noch erschöpft. Die Hitze und die nächtlichen Ritte, die Suche nach dem Weg, dazu die Eile wegen der Sorge, man könne sie verfolgen, all das zehrte an ihrer Kraft. Weite Strecken waren sie zu Fuß gegangen, um die Tiere nicht zu überanstrengen. Sie mussten geschont werden, damit sie den Weg bis zum Mittelmeer durchhielten, und nun waren sie mitsamt Gepäck verschwunden! Hierherum gab es keine Reittiere zu kaufen, doch abgesehen davon: Mit den Maultieren war auch ihr Geld verschwunden. War es ein Fehler gewesen, über Land zu reisen?
Lange hatte sie gegrübelt, auf welchem Weg sie nach Venedig gelangen sollte, und dazu unbemerkt die Karten ihres Vaters studiert. An Bord eines Schiffes ging es natürlich schnell und bequem, wenngleich man wegen der Piratengefahr nie wusste … Gleichzeitig wäre es für einen Kapitän wie ihren Vater jedoch ein Kinderspiel, ihre Spur aufzunehmen, hatte sie überlegt. Die atlantische Küste war nun einmal sein Revier, hier kannte er alles und jeden. Daher hatte sie beschlossen, über Land zu reisen. Die Route hatte sie sich so gut es ging eingeprägt, immer Nordnordost, dann musste sie zwangsläufig irgendwann ans Mittelmeer kommen, wo sie ein Schiff suchen konnte, das sie nach Venedig brachte. Der Weg dorthin war allerdings noch weit.
Hoffentlich fanden Saïds Männer morgen die Maultiere. Es durfte einfach nicht sein, dass ihre Reise zu Marino bereits nach vier Tagesreisen endete. Sarah wischte eine einzelne Träne von der Wange und zog die Decke über den Kopf.
11
» Warum geht das denn nicht schneller?« Miguel brüllte den Pferdeknecht so laut an, dass dieser sich duckte.
José da Silva, der einzige seiner Kontoristen, der nicht gleich vom Pferd fallen würde, wenn das Tempo anzog, ließ sich anders als der Knecht nicht aus der Ruhe bringen. Er schnallte soeben eine zusammengerollte Decke hinter den Sattel und
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