Purpur ist die Freiheit 02 - Die Perlen der Wueste
geleite meine Schwester nach Miknas zu ihrer Tante.«
Ob diese Erklärungen ausreichten, die beiden Frauen von seinen guten Absichten zu überzeugen? Immer noch stand er aufrecht mit geöffneten Armen. Seine Blicke aber streiften über die Berghänge auf der Suche nach den Begleitern der Frauen, allein konnten sie schließlich nicht sein. Ihre Leute mussten sich allerdings außerordentlich gut versteckt haben, denn von ihnen war nichts zu entdecken. Wie konnten sie sich bei diesem schütteren Pflanzenbewuchs tarnen?
Saïd zwang sich, nicht an die Schläfe zu fassen. Langsam rann das Blut seine Wange hinunter. Die Werferin zielte weiterhin nach ihm, wartete aber offenbar auf eine Anweisung der anderen Frau. Langsam trat er einen Schritt zurück, dann noch einen. Falls doch osmanische Soldaten irgendwo in Deckung lagen, sollte er zumindest versuchen, rasch sein Kamel zu erreichen.
Mit einem Ausdruck, den er nicht deuten konnte, fragte die Frau im blauen Gewand: » Miknas? Mit deiner Schwester?« Gleichzeitig hob sie die Hand, um die Steinewerferin zu stoppen. » Genug, Yasmîna. Komm zu mir.« Bei diesen Worten stand sie auf und klopfte ihr Gewand ab. Ihre Stimme klang befehlsgewohnt.
Tatsächlich kam die Frau am Hang herbeigelaufen und ließ ihre Wurfgeschosse unterwegs fallen. Allerdings baute sie sich stattdessen mit dem Knüppel in der Hand vor ihrer Herrin auf.
Saïds Überraschung vergrößerte sich, als er feststellen musste, dass er zwei blutjunge Frauen vor sich hatte. Sie stammten offensichtlich aus gutem Hause, aber den zerzausten Haaren und schmutzigen Kleidern nach musste ihnen ein Unglück zugestoßen sein. Unwillkürlich suchten seine Augen erneut die Umgebung ab. Niemand zu sehen, kein Tier und kein Mensch. Im Umkreis von zwei Tagesreisen gab es kein Dorf. Woher kamen sie also, ohne Pferde oder Kamele?
Fragend wandte er sich an die junge Frau. » Wo sind eure Begleiter, eure Tiere? Seid ihr überfallen worden? Hat man euch ausgeraubt?«
» Nein. Du blutest. Leg deine Waffen auf den Boden, dann sehe ich mir deine Wunde an.«
Unwillkürlich gehorchte Saïd und legte seinen Dolch auf die Erde.
» Ist das alles?«, fragte sie etwas ungläubig.
» Ich dachte, das sei für einen kurzen Abendritt ausreichend. Schließlich konnte ich nicht ahnen, auf eine massive Artillerie zu stoßen.« Das Mädchen Yasmîna senkte verlegen die Augen. » Wie heißt du?«
Ohne zu antworten, trat die junge Frau näher. Sie untersuchte die Wunde an seiner Schläfe und tupfte sanft seine Haut ab.
» Eine kleine Platzwunde, nichts Schlimmes«, stellte sie fest. » Yasmîna hat früher Ziegen gehütet. Sie weiß, wie man mit Steinen wirft, ohne ernsthafte Verletzungen anzurichten.«
Ziegenhirtin, und dafür sollte er wohl dankbar sein? Saïd öffnete den Mund zu einer passenden Erwiderung. Als sein Blick auf ihr Gesicht fiel, verschlug es ihm jedoch die Sprache. Aus ihren großen blauen Augen strahlte ihm jenes leuchtende Blau entgegen, das der Nachmittagshimmel annahm, wenn die Sonne dem westlichen Horizont zustrebt.
Ein Funke, beinahe so etwas wie eine Vorahnung streifte ihn, ließ sich jedoch nicht greifen. Er konnte nur den Blick nicht von ihren Augen lösen. Sicher konnten sie glitzern wie die Sterne des Wüstenhimmels, jetzt aber schauten sie sorgenvoll.
Erst einmal in seinem Leben hatte er eine ähnliche Augenfarbe gesehen. Das war weit im Norden, in einem Dorf im Rîf-Gebirge, wo nahezu alle Leute rothaarig und blauäugig waren. Kamen diese Mädchen also von so weit her, aus den unzugänglichen Tälern des Rîf?
» Du musst ihr verzeihen, sie hat es nicht böse gemeint«, unterbrach die junge Frau seine Überlegungen. » Kannst du ein Feuer für uns machen? Unsere Maultiere sind auf und davon, während wir schliefen, und mit ihnen ist unser Gepäck verloren gegangen. Heute kommen wir nicht weiter, erst morgen, bei Tageslicht können wir noch einmal nach ihnen suchen. Oder hast du irgendwo ihre Spuren gefunden, Yasmîna?«
Endlich gelang es Saïd, sich zusammenzureißen. Keine Osmanen weit und breit, stattdessen zwei junge Frauen, allein und schutzlos. Nun, allein stimmte zwar, aber zumindest die Schönäugige schien ziemlich selbstbewusst zu sein. Wie, bei Allah, kam jemand wie sie nur hierher? Er machte sich daran, seinen Schleier wieder ordentlich um den Kopf zu schlingen, während er gleichzeitig die Umgebung kontrollierte. Aufmerksamkeit war ihm längst in Fleisch und Blut übergegangen, die Wüste
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