Purpur ist die Freiheit 02 - Die Perlen der Wueste
Prediger, die vom Volk verehrt wurden, in die politischen Streitigkeiten ein, dachte Saïd. Der Bruder ihres eigenen Sultans, Sultan Ahmad in Féz, war einem besonders einflussreichen Imam ins Netz gegangen, wie man hörte. Unter der Hand hieß es sogar, dieser marabout stehe in enger Verbindung mit dem osmanischen Pascha und strebe ein Emirat nach türkischem Vorbild an. Man erzählte sich außerdem, er sei Abu Hassuns verlängerter Arm. Abu Hassun, Ahmads und Muhammads Onkel, hatte die nördliche Region jahrelang als Stellvertreter regiert. Griff er nun – womöglich mit Hilfe der Osmanen – nach dem Süden? Steckte er hinter den neuen Unruhen?
Während einer Versammlung der südlichen Stämme in Taroudant hatte Sultan Muhammad auf eine solche Möglichkeit hingewiesen. Gesandte des osmanischen Sultans in Konstantinopel hatten ihm zuvor ein Schreiben überbracht, adressiert an den » Sheïk der Arabernomaden«, mit der unverschämten Forderung, die Imame in allen Moscheen des Landes sollten im Namen des osmanischen Sultans predigen! Saïds Bruder Brahim, der an dieser Beratung teilnahm, hatte davon berichtet, und auch von dem wütenden Aufruhr unter den Anwesenden, den diese Forderung ausgelöst hatte.
In seinem Antwortschreiben an den » Sheïk der Ägäis-Fischer« hatte Sultan Muhammad seinerseits erklärt, man werde ja sehen, in wessen Namen zukünftig im Maghreb gepredigt werde, wenn er erst Féz und den Norden befreit und wieder seinem eigenen Reich eingegliedert hätte. Eine starke Geste und angemessene Reaktion, wie die aufgebrachten Stammesführer fanden. Sie waren freie Männer, Beherrscher der Berge und der Wüsten, Verteidiger der Kasbahs, und keiner von ihnen scheute den Kampf. Einen Krieg zwischen leiblichen Brüdern jedoch wollte sich niemand vorstellen. Darauf aber könnte es hinauslaufen. Nach dem, was sie heute erlebt hatten, überlegte Saïd, kam ihm das jedenfalls nicht mehr unwahrscheinlich vor. Kampfbereite Osmanen, die sich so weit in den Süden wagten? Selbst wenn es sich dabei lediglich um Spähtrupps handelte, so suchten sie wohl kaum nach neuen Weidegründen in den Bergen. Und hatte er nicht mit eigenen Ohren gehört, wie sie von Waffenankäufen sprachen? Behutsam rieb er seinen schmerzenden Hals.
Was mochte Sultan Ahmad, der Herr des Nordens, den Türken für ihre Unterstützung wohl versprochen haben, überlegte Saïd.
In einer Schnabelkanne brachte Azîza Wasser zum Händewaschen und reichte ihnen ein sauberes Trockentuch. Danach servierten Omar und Hamid frisch gebackenes Fladenbrot und auf einer glatt polierten Holzplatte ein einfaches Hirsegericht mit Zwiebeln und Oliven.
Obwohl sein leerer Magen schmerzte, brachte Saïd nur wenig hinunter, das Schlucken bereitete ihm größere Qualen als sein hungriger Bauch. Das würde vergehen, wusste er, er musste Geduld haben. Nach dem Essen, das sie schweigend einnahmen, kam der Tee. Alles war wie immer, vertraut und gewohnt, und doch kam es ihm vor, als erlebe er es zum ersten Mal.
Das musste das Glück des neu geschenkten Lebens sein, dachte er, aber vielleicht hatte auch die junge Frau dort drüben ihren Anteil daran. Sie war müde, und etwas Rätselhaftes ging von ihr aus, als lägen tausend Schleier über ihr. Weshalb verbarg sie sich hinter dem Namen » Bint el-Mansour«? Sie war keine Berberin. Und aus welchem Grund hatte sie ihr Haus verlassen, wie sie sagte? Saïd lehnte sich zurück und schaute hinauf zu den Sternen. Nach einer Weile brach er das Schweigen.
» Wo habt ihr den christlichen Kapitän getroffen?«, wandte er sich erneut an den Nomadenjungen.
Sarah hob alarmiert den Kopf. » Wen?«, fragte sie.
» Sie hatten den Auftrag deines Vaters, während ihres Umherziehens auch nach dir zu suchen«, erklärte Saïd.
Sarah starrte ihn an.
Lahsen nickte, hob aber gleichzeitig abwehrend die Hand. » Zwischen Mogador und Santa Cruz trafen wir ihn, zufällig. Er sagte zu Mustapha, er sei ihr Vater, und regte sich mächtig auf, weil seine Tochter verschwunden war. Mustapha sollte ihm einen Dienst erweisen und sie suchen helfen, obwohl er bloß ein Christ, ein rumi war.« Rasch sah er zu Sarah hinüber, dann schlug er die Augen nieder. » Er hatte die gleichen hellen Augen wie sie«, sagte er leise zu Saïd und deutete mit dem Kopf in Sarahs Richtung. Unauffällig streckte er ihr dabei seine gespreizte Hand entgegen, das Symbol gegen den bösen Blick.
» Viele Menschen im Norden haben blaue Augen«, beruhigte ihn der junge
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