Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Purpurdämmern (German Edition)

Purpurdämmern (German Edition)

Titel: Purpurdämmern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Gunschera
Vom Netzwerk:
Ken, ganz entspannt. »Dann komm her und schlag mich. Versuch, mich zu überraschen.«

    Von der Treppe aus beobachtete Marielle, wie sich Ken und Santino prügelten. Oder vielmehr, wie der Magier Ken vertrimmte. Er fügte ihm keine echten Verletzungen zu, aber Ken tat ihr trotzdem leid. Sein Stolz erlitt mit Sicherheit jede Menge Schrammen.
    Sie wandte sich ab, bevor Ken sie bemerkte und stieg hinauf aufs Dach. Es war früher Nachmittag, die Sonne stand im Zenit. Der Teich mit den Akeleien hatte Schmetterlinge und andere Insekten angelockt, und mit ihnen war ein ganzer Schwarm kleiner Vögel ins Weidenwäldchen eingezogen, Finken und Zeisige, sogar eine Grasmücke und jede Menge Spatzen.
    Ihr Zwitschern und Lärmen fügte dem ewigen Geheul der Spalthunde eine neue Facette hinzu. Sie fragte sich, ob die Bestien nicht allmählich müde wurden, die Festung zu belagern. Tag und Nacht schnürten sie am Abhang entlang und sprangen nach den tief hängenden Ranken. Wenn welche verschwanden, um zu jagen, tauchten neue Rudel auf. Noch zweimal hatten sie die Devora gesehen, doch die Verschlingerin kam nie nahe genug, dass sie mehr erkennen konnten als die wabernde, grünlich schwarze Silhouette.
    Marielle hatte sich eine Kette aus einem halben Dutzend Flüster-Akeleien gemacht, die nun ihren Hals liebkosten und ihr unablässig die Ohren vollschwatzten, bis sie zischte: »Könnt ihr nicht für einen Moment den Mund halten?«
    Die Akeleien verstummten, doch Minuten später flammte ihr Gemurmel wieder auf, nur leiser als zuvor. Es war nun ein Singsang, knapp an der Grenze des Hörbaren. Und so blieb es, außer wenn sie das Wort an die Blüten richtete.
    Sie tauchte in das schattige Weidendickicht ein und folgte den Windungen des Pfades. Zwei Akeleien erspähte sie zwischen den Bäumen und fragte sich, wie die dorthin gekommen sein mochten. Wahrscheinlich hatte Ken sie verloren. Zwischen den herabhängenden Zweigen glitzerte der Blumenteich, dahinter die Dachbrüstung. Sie erstarrte, als sie die Gestalt entdeckte, die armeweise die Blüten aufhäufte und sie fluchend und grummelnd über die Dachbrüstung warf.
    »Umo!«, platzte sie heraus.
    Der Buchstabensammler drehte sich um. Er sah aus wie immer, ein hagerer kleiner Mann mit Kahlkopf und sonnenverbranntem Gesicht, das mit seinen vielen Linien und Falten Alter verströmte und trotzdem vergnügt dreinzublicken vermochte. Gerade jetzt stand in den schwarzen Augen aber Zorn, und zwar von solcher Intensität, dass sie förmlich zurückprallte. So hatte sie den Buchstabensammler noch nie gesehen.
    »Wer hat das getan?!«, spuckte er ihr entgegen. »Wer hat diese Pest auf meinem Dach gesät?«
    Vor Schreck wusste sie nicht, was sie antworten sollte.
    »Jetzt komm schon«, schimpfte er, »wenn du schon da bist. Hilf mir, sie hinunterzuwerfen. Und schnell, mach schnell, hörst du?«
    Sie wollte einwenden, dass die Akeleien doch wunderschön waren, dass sie es liebte, ihrem Gesang zu lauschen, doch der Buchstabensammler tobte wie ein Klippenteufel zwischen den Blüten umher.
    »Fort, fort!«, zischte er. »Fort mit euch, nichtsnutziges Gesindel!«
    Seine Bastschuhe und die weite graue Leinenhose waren mit Wasser vollgesogen, und Wasser tropfte auch von dem Poncho mit den Wollfransen, der ihm von den Schultern hing. Die Blumen hatten aufgehört zu singen, aber schrien auch nicht ihren Protest heraus, wie Marielle es erwartet hatte. Schweigend fügten sie sich in ihr Schicksal.
    »Worauf wartest du noch?«, schoss Umo ihr zu.
    Endlich setzte sie sich in Bewegung, wie betäubt von seiner Wut. So hatte sie sich das Wiedersehen nicht vorgestellt.
    »Na los, mach schon, nimm sie und runter damit.«
    Steifgliedrig bückte sie sich und gehorchte, häufte die seidigen Blüten auf ihre Arme und trug sie zur Brüstung. Auf einem breiten Streifen unterhalb der Festung prasselten Flammen. Der Buchstabensammler schleuderte die Akeleien mitten ins Feuer. Ihr Herzschlag stolperte. »Du verbrennst sie??«
    »Weil sie diebische Spione sind.« Umo ließ den Poncho hinabgleiten, schaufelte mehr Blüten auf den Stoff und kippte sie in die Feuerhölle. Hitze wehte herauf und ein unangenehmer, metallischer Gestank. Die Spalthunde wichen vor der Glut zurück und beäugten das Inferno mit gefletschten Zähnen. »Imperiale Spione, und dann gleich so viele! Da kann ich die Kjer ja gleich in mein Haus einladen!«
    Auch Santino hatte von den Kjer gesprochen. »Was ist das?«, keuchte sie. »Die Kjer?«
    »Die

Weitere Kostenlose Bücher