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Purpurdämmern (German Edition)

Purpurdämmern (German Edition)

Titel: Purpurdämmern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Gunschera
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Zahnhals. Er holte tief Atem, streckte eine Hand aus und konzentrierte sich.
    Wenn du unter Stress arbeiten musst, wähle etwas Einfaches. Etwas, das du im Schlaf beherrschst. Santinos Stimme in seinem Ohr. Etwas Einfaches. Das reduzierte seine Optionen auf Kugeln und Feuerstürme.
    Seine Fingerspitzen begannen zu kribbeln. Er stellte sich vor, wie Feuer daran herabtropfte, aber noch deutlicher konzentrierte er sich auf die schützende Luftschicht zwischen seiner Haut und dem brennenden Rinnsal. Die Dunkelheit zitterte, ein Flimmern und Wogen. Der Geruch heißen Metalls kitzelte seine Nase. Mit einem Zischen flammte Hitze auf. Er schrak zusammen, aber der Schmerz kam nicht. Stattdessen floss eine ölige, rot glühende Masse seine Finger herab und zog auf ihrem Sturz ins Dunkel einen Kometenschweif hinter sich her.
    Die Lava blieb an einem Vorsprung hängen, tief unten in der Schlucht. Immer mehr Tropfen sprenkelten den Fels und gaben der Finsternis Konturen. Ein großer Flammenklumpen löste sich und explodierte beim Aufprall in kleinere Bröckchen. Bald konnte Ken die Schrunden und Vorsprünge erkennen, die den Schlund des Abgrunds formten.
    Okay.
    Ein letztes Mal ruckte er am Seil, dann schlang er ein Bein hinein, packte es mit beiden Händen und belastete es. Es knirschte ein wenig, aber es hielt.
    Hand über Kopf ließ er sich herab. Seine Muskeln protestierten, seine Schultern brannten wie Feuer, aber es half ja nichts. Wenn er es nicht tat, verstrich die Gelegenheit. Und das würde er sich niemals verzeihen. Der Buchstabensammler mochte ein komischer Kauz sein, aber seine beiläufige Bemerkung über Coinneach hatte Wurzeln in Kens Bewusstsein geschlagen. Der blonde Penner aus dem Apfelhain war die ganze Zeit in seinem Hinterkopf herumgegeistert. Es konnte kein Zufall sein. Moms Besessenheit von den Apfelbäumen, wie sie mit diesen billigen, keltischen Kettenanhängern Made in China unter den Zweigen hindurchgelaufen war. Hatte sie gehofft, ein Tor zu öffnen, und geglaubt, in einem der Schmuckstücke den Schlüssel zu finden?
    Gedankenfetzen flogen in seinem Kopf durcheinander wie Zeitungsblätter in einem Sturm. Was, wenn es stimmte und er tatsächlich nicht Randall O’Neills Sohn war? Wäre das nicht eine Erleichterung? Es stellte sich natürlich die Frage, ob ein offensichtlich geistesgestörter Penner mit langen, blonden Elfenhaaren die bessere Alternative war.
    Er ertastete mit dem Fuß den ersten Knoten, den er ins Seil gebunden hatte. Inzwischen hing er frei in der Luft, die zerfetzte Unterseite des Roosevelt Warehouses knapp über seinem Kopf. Die Flammen seiner magischen Lava zuckten über ein Chaos aus Kabelsträngen, Beton und verbogenen Stahlstreben. Die meisten Spalthunde lagerten dort, wo die Festung nur knapp über der Kante schwebte, nachdem sie durch die Erschütterung abgesackt war.
    Doch da wollte er gar nicht hin. Ein Stück entfernt, gut zwei Meter unterhalb des Bodens und vom Rand der Schlucht nicht zu sehen, stach rötlich schwarz eine Felsnase hervor. Ein paar armdicke Kabel aus den Eingeweiden der Festung hingen so weit herab, dass er es schaffen konnte, den Abstand mit einem Sprung zu überbrücken. Sofern es ihm gelang, sich bis zu einem dieser Kabel vorzuarbeiten.
    Er glitt noch ein Stückchen weiter an seinem Seil nach unten und pendelte, bis er eine Strebe zu fassen bekam. Der Ruck schickte ihm einen Schmerz hoch ins Schultergelenk. Mit zusammengebissenen Zähnen wartete er, hängend zwischen Seil und Strebe, bis das Brennen sich legte. An einem Arm zog er sich hoch, holte mit dem anderen das Seil nach und warf es um den stählernen Balken, für den Rückweg.
    Gott, was für ein Abstieg. Seine Nerven vibrierten vor Anstrengung, weil er das Terrain nicht kannte, weil er nicht wusste, wie viel Belastung dieser Schrotthaufen aushielt und ob er nicht stürzte, wenn er sich am falschen Vorsprung festhielt. Auch wenn sie einen ohrenbetäubenden Lärm veranstalteten, die Hunde waren im Moment seine kleinste Sorge.
    Er kletterte Hand über Kopf, während ihn immer stärker der Eindruck beschlich, ein riesiges surreales Raumschiff zu erklimmen. Die Kabel schwangen leicht im Wind. Er packte eines und zog daran. Als es sich aus seiner Verankerung löste, erschrak er. Der Fluch, den er auf den Lippen zerdrückte, hätte ihm eine Kopfnuss von Mom eingebracht.
    Er marterte sich mit der Frage, ob er jemandem hätte Bescheid sagen müssen. Wenn ihm nun etwas zustieß und er nicht rechtzeitig

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