Purpurdämmern (German Edition)
Ihr, nicht wahr?« Der heiße Atem an seinem Ohr beschleunigte sich. »Tief drinnen müsst Ihr es wissen. Der König ist verzweifelt. Er muss der Meute etwas vorwerfen. Sonst hätte er Euch kaum wie einen gewöhnlichen Verbrecher durch die Stadt schleifen lassen.«
»Und das ist Maebhs Verdienst?«
»Maebh wird beide Kronen tragen, sobald die Prinzessin der Tuatha Mórí sich dem Prinzen der Licht-Fayeí verspricht. Dem echten Prinzen, wohlgemerkt. Dem kleinen Hochstapler schneiden wir den Kopf von den Schultern, und mit seinem Tod verschwindet auch das Siegel von Marielles Haut und niemand wird von ihrem Fehltritt erfahren. Wenn Maebh erst im Triumph den Tíraphal betritt, werden die Ersten Familien sich überschlagen, ihr Blumen vor die Füße zu streuen.«
Etwas Kaltes glitt über Santinos Hals, hinunter zum Schlüsselbein. Er schauderte und zuckte zurück. Zur Kälte gesellte sich ein feiner Schmerz. Eine Klinge. Und mit dem Schmerz sickerte die Erkenntnis in sein Herz, was Felíms Worte bedeuteten. Sein Magen zog sich zusammen. Zum ersten Mal, seit er in Kälte und Dunkelheit erwacht war, streckte Verzweiflung die Krallen nach ihm aus.
»Während Ihr der Königinmutter die Rockschleppe haltet?«
»Mein Lohn ist angemessen«, murmelte der Graf. »Vor allem, weil ich die Frau, die ich liebe, nicht länger mit einem Geist teilen muss. Und indem ich Rhonda einen Herzenswunsch erfülle, versichere ich mich ihrer ewigen Dankbarkeit.«
Eine wütende Qual fraß sich Santinos Schulter hinab, ein Schmerz so heftig, dass er nicht anders konnte, als zu schreien. Jeder Nerv in seinem Körper bäumte sich auf, jeder Reflex in ihm brüllte nach Flucht. Wie von Sinnen riss er an den Ketten, bis Felím ihn mit Hieben traktierte, in die Nieren und in die Kniekehlen, die ihn endlich zusammensacken ließen.
Der Graf stellte etwas mit seiner Schulter an, doch sein Bewusstsein driftete fort, sodass er kaum begriff, was mit ihm geschah. Der Schmerz flaute ab zu einem dumpfen, fiebrigen Pochen. Es mochten Sekunden vergangen sein oder Stunden, bis Felím von ihm abließ. Durch die Schlieren vor seinem Blick sah er das Gesicht des Licht-Fayeí, die schwarzen Augen und den blutverschmierten, gekrümmten Dolch in seiner Hand. Der Anblick der Waffe riss eine elementare Furcht in ihm auf, eine Urangst, die er nicht benennen konnte. Die Klinge schimmerte im gleichen rötlichen Silberton wie sein Armreif und die Ketten um seine Handgelenke. Orichalcum. Eine bösartige Aura umwaberte die Klinge und vibrierte umso intensiver, je länger er das Artefakt anstarrte. Die Vorstellung, dass dieses
Ding
gerade sein Blut gekostet hatte, ließ ihn vor Entsetzen schaudern.
»Was habt Ihr getan?«, stieß er hervor.
»Wenn die Kjer Euch vor ihren Imperator schleifen, wird er eine Überraschung erleben.« Um die Lippen des Grafen spielte ein maliziöses Lächeln. Er hob den Dolch und berührte die blutige Klinge mit seinen Lippen. »Vielleicht tröstet Euch das Wissen, dass Ihr am Ende Rhonda doch noch helfen könnt. Euer Tod ist unvermeidlich, Magier. Aber so dient er wenigstens einem höheren Ziel.«
Amalia hatte recht, der Tíraphal glich einem Tollhaus. In der Palastküche herrschte Chaos. Die Dienerschaft war in Auflösung begriffen. Als Marielle mit Nessa auf der Schulter durch einen Torbogen in eine der Vorratskammern trat, hörte sie Schreie und Schluchzen und das Klirren von Waffen.
Hier entlang.
Die Purpurkatze sprang zu Boden und führte sie durch einen halbdunklen Gang voller Töpfe und Kisten.
Sie passierten eine Verzweigung, von der die Treppe zu den Bootsanlegestegen für die Lieferanten führte. Auf den unteren Stufen lag ein Stapel Säcke und daneben ein Mann. Ob lebendig oder tot, wusste Marielle nicht zu sagen.
Weiter!,
fauchte Nessa.
Durch Löcher in den Regalen konnte sie einen Blick in die langen Gewölbe erhaschen, in denen die Küchenmägde sonst Brotteig kneteten, Geflügel rupften und Kartoffeln schälten. Es stank nach verbranntem Gemüse. Ein ganzer Pulk Diener stand in einer Ecke zusammengedrängt, bewacht von zwei Kriegern mit blanken Schwertern. Die Rüstung der Männer glich denen, die in ihre Gemächer eingebrochen waren.
Sie schlüpften in einen stockdunklen Verschlag.
Zieh die Tür hinter dir zu.
Marielle gehorchte.
Jetzt taste die Wand ab. Unten links ist ein Stein mit einer Verzierung.
Sie bückte sich und fuhr mit den Fingerspitzen über die groben Ziegel. »Gibt’s hier Spinnen?«
Nur die großen,
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