Purpurdämmern (German Edition)
Randall nicht auf sich aufmerksam zu machen. Also ging er in die Knie und tastete nach dem Fußschalter der Stehlampe. Er schob ihn ein winziges Stückchen hoch, sodass die Leuchte zu glimmen begann.
Mom hatte die Decken beiseitegeschoben und sich auf dem Sofa zusammengerollt. Sie trug ihre schäbigen Baumwollhosen und einen Pullover mit Indianermuster. Ihr Haarknoten hatte sich gelöst. Die Lampe zeichnete tiefe Schatten in ihr Gesicht. Klein und verletzlich sah sie aus, wie sie dort schlief.
Er beugte sich vor und legte beide Arme um sie. Ihr leicht muffiger Lavendelgeruch stieg ihm in die Nase. Zärtlichkeit und heftige Melancholie überwältigten ihn. Reglos verharrte er und lauschte ihrem Herzschlag. Ihr Atem schlug ihm gegen die Wange, wie die Spitzen von Taubenflügeln.
»Mom«, flüsterte er. »Mom, hörst du mich?«
Ihr Arm regte sich, doch sie erwachte nicht.
»Mom?« Er löste eine Hand aus der Umarmung und rüttelte sie sanft an der Schulter. Ein Stapel zusammengelegter Stoffstücke am Kopfende geriet ins Rutschen.
»Komm schon. Wach auf, Mom.«
Sie drehte den Kopf und strich sich die Haare aus dem Gesicht. Ein kleiner Laut drang ihr über die Lippen, halb Überraschung, halb Müdigkeit.
»Psst«, machte er. »Leise. Dad darf dich nicht hören.«
Er konnte sehen, wie der Schlaf sich allmählich von ihrem Geist zurückzog. Sie setzte sich auf und blieb einen Moment reglos sitzen, die Arme um ihren Oberkörper geschlungen. »Wie spät ist es?«
»Kurz vor zwölf.« Er fasste sie bei den Schultern. »Ich muss dir etwas sehr Wichtiges zeigen. Und Dad darf nicht merken, dass du das Haus verlässt. Okay?«
»Das Haus verlassen?« Verständnislos sah sie ihn an. »Hat dich die Polizei wieder gehen lassen? Mein Gott, ich dachte, du rufst an. Dann hätte ich dich abholen können.«
»Schon gut, Mom. Es ist alles in Ordnung.« Ihm wurde allmählich die Kehle rau vom Flüstern. »Können wir jetzt bitte nach draußen gehen? Und leise.«
Ihre Augen waren klein und glasig vom Schlaf. Sorge und ein Hauch Verwirrung blitzten darin auf. »Aber was …?«
»Bitte, Mom.«
»Und meine Schuhe?«
»Sind unten.« Er hörte ein Rumoren aus der Küche. »Warte.«
Er drehte die Stehlampe weiter herunter, bis kaum mehr Moms Konturen zu sehen waren, schlich sich zurück in den Flur und spähte, an die Wand gepresst, die Treppe hinunter. Die Kühlschranktür klapperte.
Unwillkürlich hielt er den Atem an. Der Alte schlurfte zurück zum Sofa. Er konnte ihn zwar nicht sehen, aber seine Tritte hören. Er wartete, bis alles wieder ruhig war, zählte bis fünf und kehrte zurück in Moms Nähzimmer. »Okay, los.«
Hintereinander stiegen sie die Stufen hinab. Mom wusste so gut wie er selbst, welche Bretter beim Auftreten knarrten. Unten zupfte er sie am Ärmel und deutete auf die Hintertür. »Ich bringe dir die Schuhe raus.«
Er ließ sich auf Hände und Knie sinken und streckte sich nach dem Schuhregal, das genau auf Höhe der Wohnzimmertür stand. Randall grunzte und gurgelte auf seinem Sofa und brabbelte etwas Unverständliches. Ken erstarrte.
Als nichts weiter passierte, kroch er näher, packte Moms hellbraune Slipper vom Regal und zog sich langsam zurück. Er stieß den Atem aus und richtete sich auf. Der Vorhang an der Hintertür wackelte. Er trat durch den Spalt und drückte sie zu.
Mom schlüpfte in die Schuhe. »Was ist passiert?«, fragte sie. »Ist was mit Marty?«
»Marty ist oben und schläft.« Er zögerte. Wie sollte er das jetzt erklären? Röte kroch ihm den Hals hinauf. Plötzlich war es ihm peinlich, ihr Liebesleben zu diskutieren. Sie war immerhin seine Mutter! »Jemand möchte dich treffen. Jemand, der dir einmal sehr wichtig gewesen ist.«
»Claire?«, lallte Randall aus dem Innern des Hauses. »Claire Schätzchen, bist du wach? Willst du mir nicht Gesellschaft leisten, Claire?«
»Du musst in den Apfelhain da drüben gehen«, drängte Ken. »Hörst du? Geh!«
»Claire! Ich hab dich doch gehört! Komm her, Schätzchen, meine Süße, jetzt zier dich nicht. Ich finde dich sowieso!« Etwas polterte.
»Ken –« Ihr Blick zuckte zur Tür.
»Geh schon, ich passe auf Marty auf.« Er schob sie ein Stück von der Tür fort. »In den Apfelhain, ja? Geh in den Apfelhain! Und wehe, du tust es nicht, dann rede ich nie mehr ein Wort mit dir!«
Sie zögerte.
»Los jetzt!« Er drehte sich um und griff nach der Klinke. Hinter ihm flogen ihre leisen Schritte über den betonierten Hof und entfernten sich.
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