Purpurdämmern (German Edition)
gelblicher Schimmer.
Ich habe sie gefunden!
»Sarrakhans gnädiges Licht!« Marielle stieß den Atem aus. »Da seid ihr gerade rechtzeitig gekommen.«
Ken fühlte sich so eingeschüchtert wie bei seiner allerersten Verabredung mit einem Mädchen, als ausgerechnet ihre Mutter sie beim Eisessen im Mexican Village überrascht hatte.
Marielles Vater verströmte eine Aura von Macht und Respekt. Unter Eoghans sezierendem Blick wäre er am liebsten im Boden versunken.
Wenigstens die unmittelbare Gefahr des Blutvergießens war gebannt. Die Vorstellung, dass dreihundert bis an die Zähne bewaffnete Kämpfer mit Schwertern und Speeren aufeinander losgingen, und sie zwischen den Fronten steckten, brachte ihn noch nachträglich zum Schaudern. Nun lagerten die Kriegstrupps draußen vor den ramponierten Türflügeln, während sie hier drinnen standen und darauf warteten, dass auch die letzten Mitglieder des Rates eintrafen und ihre Plätze auf den halbkreisförmig angeordneten Bänken einnahmen.
Der Thronsaal des Tíraphal ähnelte einem griechischen Amphitheater in einem vierzig Meter hohen Dom aus weißem Marmor, Alabaster und Kristall. Den Boden schmückten Einlegearbeiten in Purpur und Silber. Außerdem blockierte etwas hier drin jegliche Magie. Als er vorhin versucht hatte, ins Gewebe zu greifen, hatte ihn eine Art elektrischer Schlag getroffen. Die Schläfen schmerzten ihm immer noch von der Wucht der Rückkopplung.
Die Bankreihen formten zwei Halbkreise rechts und links des Eingangs. Am Stirnende führten zwölf Treppenstufen zu einem Podest, auf dem der Thron ruhte, ein hochlehniger Sitz aus Alabaster und Silber, der furchtbar unbequem aussah. Der König stand ein Stück abseits und sprach mit einer Gruppe von Ratsherren. Er wirkte angespannt.
Ken war froh, dass Eoghans Aufmerksamkeit nicht länger auf ihm lastete. Er setzte sich auf eine Steinbank dicht bei den Türen, weit entfernt von den fremdartigen, farbenprächtig gekleideten Fayeí. Auch wenn für den Moment niemand sein Leben bedrohte, fand er die Nebelsee-Welt um ein Vielfaches furchteinflößender als Dämmer-Detroit. Das hier fühlte sich wirklich so an, als wäre er durch ein Loch in der Realität gefallen und direkt in Mittelerde gelandet, nur dass die Prachtentfaltung des Tíraphal jede Filmkulisse in den Schatten stellte, und dass alles
echt
war.
»Was ist?« Marielle ließ sich neben ihm auf die Bank fallen. »Du siehst so unglücklich aus.«
Nessa kletterte an ihren Beinen hoch und rollte sich auf ihrem Schoß zu einer Kugel zusammen. Sie ließ keinen Zweifel daran, dass sie soeben die Welt gerettet hatte und dafür frischen Fisch auf Porzellantellern serviert bis an ihr Lebensende verdiente.
»Nicht unglücklich.« Er strich ihr eine Locke aus dem Gesicht. »Das ist nur alles ziemlich viel. Ich habe noch nicht mal mit meiner Mom geredet. Keine Ahnung, was jetzt zwischen ihr und Coinneach ist. Das ging alles so schnell, und jetzt sind wir hier und ich soll mich als Kronprinz ausgeben, damit diese Idioten nicht den Laden übernehmen und deinen Vater absetzen.«
»Es ist ein bisschen chaotisch«, gab sie zu.
»Und dann noch diese Assassinen.« Er rückte dichter an sie heran, plötzlich vom Bedürfnis erfüllt, ihre Nähe zu spüren. »Danke noch mal.«
»Nichts zu danken.« Sie setzte ein schiefes Lächeln auf. »Es war ja in meinem eigenen Interesse. Sonst hätten sie mich mit diesem traurigen Hefekloß verheiratet. Stell dir vor, wie mich die ganzen goldbehängten Hühnchen aus den Ersten Familien beneiden werden, wenn sie dich sehen.«
»Wie meinst du das?«
»Dass ich niemanden haben will außer dir.« Sie küsste ihn auf die Wange. »Wenn die Assassinen dich erwischt hätten, was hätte ich dann ohne dich machen sollen, du Trottel?«
Das Herz schlug ihm so hoch in den Hals, dass er kaum noch ein Wort herausbekam. »Heißt das, wir sind jetzt zusammen?«
Täuschte er sich, oder wurde sie rot? »Tja, wenn wir unbeschadet hier rauskommen.«
»Euer Hoher Rat ist bereits auf unserer Seite.« Coinneach blieb vor ihnen stehen. »Sie diskutieren nur noch, wie sie die Aufhebung des Dekrets verkünden sollen, ohne das Gesicht zu verlieren, und ob sie es sich leisten können, diesen Ceallacháin zu opfern. Er scheint eine Menge Macht zu haben.«
Auf der anderen Seite der Türen lehnte Santino mit dem gefesselten Assassinen, der inzwischen von zwei Gardisten bewacht wurde.
Ken war der Blick des Königs nicht entgangen, mit dem dieser den
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