Purpurdämmern (German Edition)
auszuweichen versuchte, ein aussichtsloses Unterfangen. Alle vier Schritte blieb die Purpurkatze stehen und schüttelte sichtlich angewidert die Pfoten aus.
»Vielleicht eine ferne Realität, vielleicht das Nichts? Oder die Ewigen Ozeane? Ich habe nicht die geringste Ahnung.«
»Vielleicht sollten wir nachsehen.«
»Nein«, erwiderte er. »Das sollten wir nicht.«
Sie überquerten den Parkplatz und blieben vor einer Pergola stehen, deren Stäbe sich unter dem Gewicht der Heckenrosen bogen. Regen tropfte von den Blättern. Die Luft atmete sich wie ein kalter Schwamm. Er warf einen Blick zu Ken, doch der schwieg und kickte Steinchen beiseite.
»Also diese Realität bricht auseinander. Ist es das, was auch mit Níval passiert?« Marielle tippte gegen eine Rosenblüte. Ein Tropfenschauer ging auf den Boden nieder.
Er nickte.
»Geschieht das oft?«
Ihm behagte die Richtung nicht, in die das Gespräch sich drehte, auch wenn verständlich war, dass Marielle sich für den Spalt interessierte. Schließlich klafften in ihrer eigenen Welt zwei ähnliche Wunden, die ihrem Vater genug Grund lieferten, sie in die Heirat mit Newan zu zwingen.
»Ich weiß es nicht.« Er kaschierte die Lüge mit einem entnervten Tonfall. »In den Dämmerschatten passiert es häufiger als anderswo. Das Gewebe ist instabil. Wir wandeln in Manifestationen von Träumen und wilden Sehnsüchten. Wenn der Träumer erwacht, zerbricht der Anker, und die Welt löst sich auf.«
Marielle riss die Blüte ab und stellte sich unter einen hölzernen Bogen, den der Regen dunkel verfärbt hatte. »Hier ist ein guter Platz. Wartet kurz, ich mache das Tor.«
Santino ließ seinen Blick über die Straße schweifen. Auf der anderen Seite des Asphaltbands begann eine Wiese, an deren Ende graue und dunkelrote Industriefassaden kauerten. Ein Schwarm Krähen stob aus dem Gras auf. Einen Augenblick später erkannte er den Grund. Vier Bestien strichen durch den halb verblühten Löwenzahn. Als der Wind auffrischte, hob eine den Kopf und witterte. Egal, wie viele von ihnen er erschlagen hatte, ihr Anblick ließ ihn stets aufs Neue erschaudern. Nicht, weil er ihre Klauen und Zähne fürchtete, sondern weil er um das Grauen wusste, das auf ihrer Fährte folgte.
Er tastete nach dem Verband an seiner Schulter. Acht Stunden Ruhe und eine gewöhnliche Salbe aus der Hausapotheke des Hotels hatten die Entzündung abklingen lassen. Wenn er den Arm bewegte, schmerzte es, aber das würde sich legen, auch ohne magische Behandlung. Heilmagie war ohnehin nicht seine Stärke, und das Gewebe dieser Welt befand sich so sehr in Aufruhr, dass ein Funkenschlagzauber genügte, um einen Straßenzug niederzubrennen. Kein Wunder, dass Kens Potenzial so heftig auf diesen energetischen Wirbelsturm reagierte. Da der Junge keine Ahnung hatte, wie er seine Fähigkeiten gebrauchen musste, produzierte er mit jeder Gefühlsregung unkontrollierte Entladungen im Gewebe. Und Zorn rangierte weit oben auf der Liste heftiger Emotionen.
Die Spalthunde trabten näher heran. Er lockerte das Schwert in der Scheide.
»Beeil dich mit dem Tor«, sagte er, ohne den Blick vom Rudel abzuwenden. »Wir bekommen gleich Gesellschaft.«
Nessa fauchte und jagte mit drei Sprüngen das Rosenspalier hinauf. Ken bückte sich mit zusammengepressten Lippen nach einem Stein.
»Nicht. Du jagst das Hotel in die Luft.«
»Aber die Hunde –«
»Lass das Ding fallen, bleib bei Marielle und beweg dich nicht.« Santino zog die Klinge blank und lief den Bestien entgegen. Sein Armreif knisterte vor Energie. Vier Hunde, das war zu schaffen.
Ein spürbarer Ruck ging durchs Gewebe.
»Fertig«, rief Marielle.
Die Bestien hetzten über die Straße. Das Leittier des Rudels war groß wie ein Kalb, hatte grau geflecktes Fell und eine schmutzig weiße Mähne. Im Rachen glitzerten Reißzähne, gebogen und so lang wie sein kleiner Finger.
»Komm schon!«, schrie sie.
Er fuhr herum und setzte sich in Bewegung, zurück zum Spalier. Nessa sprang von ihrem Hochsitz aus direkt in den Bogen und verschwand, bevor sie den Boden berührte. Ken trat hinein. Die Luft flimmerte. Die Krallen der Hunde klickten auf dem Asphalt. Dicht vor ihm glitt Marielle ins Portal.
Einen Herzschlag später hechtete Santino selbst hindurch, der Leithund so dicht hinter ihm, dass er glaubte, das Knacken der Kiefer zu hören, die nach seinem Knöchel schnappten. Ein Luftzug erfasste ihn, er hörte einen Schrei. Vor ihm riss abrupt der Boden ab. Sein eigener Schwung
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