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Purpurdämmern (German Edition)

Purpurdämmern (German Edition)

Titel: Purpurdämmern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Gunschera
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drohte ihn über einen Abgrund zu tragen. Er ließ sich fallen, verlor dabei das Schwert und schürfte sich die Handgelenke auf. Der Armreif schützte ihn kaum gegen den Aufprall. Magische Entladungen sprangen zwischen den Steinchen über.
    Geistesgegenwärtig umklammerte er einen rostigen Zylinder und blieb mit einem Ruck daran hängen.
    Für mehrere Sekunden nahm er nichts anderes wahr als das Rauschen des Windes und seinen eigenen, überlauten Herzschlag. Dann schnitt Schmerz in sein Bewusstsein. Die lädierte Schulter. Stöhnend wälzte er sich herum. Seine Beine hingen in der Luft, doch von der Hüfte aufwärts lag er auf festem Grund. Das war nicht das Michigan Train Depot.
    Eine böse Vorahnung stieg in ihm auf.
    »Vorsicht!«, hörte er Ken brüllen. Im gleichen Moment fegte ein Schatten über ihn hinweg, ein Windstoß, und scharfer Ammoniak-Gestank.
    Er schob sich zurück, bis auch seine Füße festen Boden fanden, und richtete sich auf. Lüftungsschächte und verrottende Maschinenaufbauten ragten aus dem Boden. Nach einer weiteren Sekunde begriff er, dass er auf der Dachplattform eines Hochhauses stand. Der Schatten raste erneut auf ihn zu.
    Instinktiv streckte Santino die Hand mit dem Armband aus, stieß mit den Fingern ins Gewebe und schickte einen Willensstoß hinein. Obwohl es kein starker Impuls war, erfasste ihn dennoch ein Ausläufer des Wirbels und brachte ihn ins Taumeln.
    »Sarrakhan!« Mit einem Fluch stolperte er zurück. Fauchend und zischend schoss der Tornado davon und krachte in ein graues Ungetüm, das vage an einen Kranich erinnerte, doch mit dem Hals und dem gezähnten Rachen einer Viper ausgestattet war. Federn stoben. Das Ding schrie und trudelte in die Tiefe.
    »Was war das?«, keuchte Ken.
    »Keine Ahnung.« Santino suchte Marielles Blick. »Das hier ist nicht das Depot. Was ist schiefgegangen?«
    »Ich weiß nicht.« Sie sah aus wie eine Sechsjährige, der die Lieblingspuppe in einen Schlammtümpel gefallen ist. »Wir hätten in der Halle herauskommen müssen.«
    Vor den Sturmwolken zog ein ganzer Schwarm der Drachenkraniche ihre Kreise. Einer stürzte mit hohem Pfeifen auf das Dach eines fernen Glasturms herab, packte eine zappelnde Beute und schwang sich wieder in die Lüfte.
    »Dieses Rudel«, sagte sie. »Das waren die gleichen Wölfe wie damals, nicht wahr? Wie in der Obsidianwüste, im Rabenfächer.«
    »Keine Wölfe. Spalthunde.« Er antwortete automatisch, ohne nachzudenken. Erst dann erkannte er das Grauen in ihrem Blick. Ihm wurde flau im Magen beim Gedanken ans Später. Er war froh, dass sie es für den Moment auf sich beruhen ließ und nicht weiterbohrte.
    Diese Stadt hatte er nie zuvor betreten, weder das alte Detroit im Kern, noch die wabernden Abbilder in den Dämmerschatten. Doch es war offensichtlich, dass Marielles Tor sie ins marode Herz der Metropole getragen hatte. Ringsum ragten Hochhäuser auf, viele mit zerbrochenen Fenstern. Zwischen rostigem Stahl und Spiegelfassaden erspähte er einen Fluss, der wie bleierne Seide gegen die Ufer schwappte. Brücken überspannten das Wasser, Hafenkräne säumten den Kai. Zwei Vögel lösten sich vom Schwarm und glitten näher.
    »Wir müssen hier weg«, sagte er.
    Hektisch blickte Marielle sich um. Er begriff im gleichen Moment. Sie konnte kein weiteres Tor auf dem Dach errichten, weil es keine Struktur gab, keinen Durchgang, in dem sie es aufspannen konnte.
    »Kommt mal her!« Ken blickte von einer stählernen Falltür auf. Er zerrte daran, doch das Ding bewegte sich keinen Millimeter. Santino packte den zweiten Griff und zog. Vergeblich. Das Pfeifen der Drachenkraniche verwirbelte im Wind.
    Ähm,
räusperte sich Nessa in seinem Kopf,
ich würde mich beeilen.
    »Zurück«, befahl Santino. Dieses Mal tastete er mit mehr Vorsicht ins Gewebe, bündelte ein paar Fasern und richtete den Stoß auf die Falltür. Der Impuls riss ihn nicht von den Füßen, verblüffte ihn aber dennoch mit seiner Gewalt. Wie von einer gewaltigen Faust getroffen explodierte das Stahlblech nach innen. Nieten lösten sich und perforierten die Lüftungsaufbauten auf der anderen Seite. Ein Riss entstand im Metall, groß genug, um sich hindurchzuquetschen. Schrill schnitt das Pfeifen durch die Luft.
    »Rein da!«, brüllte Santino.
    Marielle blieb mit dem Arm an einer Metallecke hängen und stieß einen Schmerzenslaut aus, bevor sie verschwand. Ken sprang als Nächster. Santino packte sein Schwert und stürzte ihnen nach. Flügel und Klauen schossen dicht

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