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Purpurdämmern (German Edition)

Purpurdämmern (German Edition)

Titel: Purpurdämmern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Gunschera
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Kater, ich wusste es!,
tobte Nessa.
Dieser Hundesohn, dieser Mistkäfer, dieser stinkende Halunke! Die Pelzfäule soll ihn holen!
    »Was regst du dich so auf?«, fragte sie lauter als beabsichtigt.
    Kens Kopf fuhr zu ihr herum. »Hä? Sie verhandeln gerade darüber, ob du verkauft wirst?!«
    »Nein, nicht du. Nessa, alles okay?«
    Als die Purpurkatze nicht antwortete, setzte sie sich in Bewegung, ganz langsam, um nicht die Aufmerksamkeit dieses van Erlen-Widerlings auf sich zu ziehen. Hinter Santinos Rücken stahl sie sich zur Seite, bis der LKW sie gegen den Kerl abschirmte. Sie stieg über das geschmolzene Gitter, in der Hoffnung, einen Blick auf die Katze zu erhaschen. Hinter dem chromblitzenden Fahrerhaus kam zu ihrer Überraschung ein Pferdefuhrwerk zum Vorschein, eine hölzerne Frachtkiste mit dem van Erlen-Emblem und kreisrunden Gitterfensterchen auf beiden Seiten. Vor der Deichsel stampften vier schwerblütige Pferde, fahlgrau, mit perlmuttbleichen Mähnen. Nervös schnaubten sie und scharrten mit den Hufen und drehten die Ohren vor und zurück. Eines der Tiere warf den Kopf herum und schnappte in die Luft, sodass hörbar die Zähne aufeinanderklackten. Und was für Zähne! Wie Stahl schimmerten sie, an den Enden spitz geschliffen, gebogen wie die eines Tigers. Unwillkürlich fuhr sie zurück. Das waren keine gewöhnlichen Rösser, sondern Kelpies, fleischfressende Wassergeister in Pferdegestalt. Wenn sie sich Magister Féachs Ausführungen korrekt in Erinnerung rief, war es sogar Menschenfleisch, das sie am liebsten mochten. Ihr brach der Schweiß aus. Wollte der Kerl sie womöglich kaufen, um sie an die Kelpies zu verfüttern? Offenbar hatte er es geschafft, die Biester zu zähmen, doch um sie bei Laune zu halten, musste er ihnen bestimmt ab und an ihr Leibgericht vorwerfen.
    Ja, sie konnte sich schon vorstellen, dass die Gespinstgeister sich von den pferdegestaltigen Karnivoren fernhielten. Ein kluger Trick und einer, der eines Rupertin Hufschwinge würdig war. Sie wollte nur nicht wahrhaben, dass der Held ihrer Kindheit sich als ekelhafter Grobian entpuppte, dem Edelmut ein Fremdwort war.
    Der Fahlschimmel schnappte erneut, und dieses Mal sah sie den purpurnen Blitz, der von der Kruppe des Pferdes abhob und auf der Oberkante des Wagens landete.
    »Nessa!«, entfuhr es ihr.
    Komm hier rüber! Hilf mir mal!
    Marielle folgte der Purpurkatze auf die Rückseite des Wagens, doch machte dabei einen großen Bogen um die monströsen Pferde. Überall lagen verbogene Metallstücke, als wäre ein ganzer Werkzeugschrank explodiert. Dazwischen Staub und Stücke von Ziegelsteinen. Sie umrundete einen zerstörten Sockel und kam dabei den Kelpies gefährlich nahe. Aus blutunterlaufenen Augen starrten die Tiere sie an. Auf der anderen Seite, halb vom Gespann verdeckt, stand der Rest des Tores. Ein Pfeiler, der in einen abgebrochenen Bogen mündete.
    Das musste das Portal in den Rabenfächer sein, doch etwas war schiefgelaufen. Die Explosion hatte nicht nur das Gewebe zerrissen, sondern den Rahmen gleich mit. Mit einem Hauch Unbehagen dachte sie an ihr Tor im Depot. Sie hatte gar nicht gewusst, dass so etwas passieren konnte.
    Komm endlich!
    Sie schlüpfte zwischen Sockel und Truck hindurch und eilte zur Rückseite des Wagens. Nessa stand dort und blickte hoch zu den Doppelflügeln, von denen einer mit der van Erlen-Schwalbe, der andere mit einem vielfach verschlungenen Ornament geschmückt war, dessen Betrachtung ihr Kopfschmerzen bereitete.
    Sperr die Türen auf! Aber leise.
    »Hör mal«, wisperte sie, »ich weiß wirklich nicht, ob wir das tun sollten.«
    Jetzt mach schon
. Nessas Fell leuchtete flammend rot, das Äquivalent zu einem cholerischen Anfall. Die Purpurkatze zitterte vor Wut. Und da sie die Einzige war, die Marielle bei der unseligen Heiratsgeschichte nicht in den Rücken fiel, konnte sie ihr schlecht einen Wunsch abschlagen.
    Drei stählerne Riegel verschlossen die Türen, doch das Schloss baumelte offen in der Öse. Sie zog es einfach heraus und ließ die Riegel zurückschnappen.
    Aus dem Innern drang Moschusgeruch. Ein Dutzend gelblicher Augenpaare starrte ihr entgegen. Nessa sprang hinein. Marielle folgte ihr etwas langsamer. Sie brauchte einen Moment, bis ihre Augen sich ans Dunkel gewöhnten. Konturen von Käfigen traten hervor. Stäbe aus einem weißlich polierten Material, das wie Perlmutt glänzte. Die Käfige waren mit roten Samtkissen ausgelegt, und darin kauerten Purpurkätzchen in allen Farben.

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